“Es war nicht mehr alles so schön.
Und gerade darum kam es mir manchmal so echt vor.”
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Yoga, Meditation, Self-Care, Sport, die Pflege eines positiven Mindsets – diese und noch weitere kleine Tricks werden angeraten, wenn es darum geht, ein ausgeglicheneres und glücklicheres Leben zu führen. All diese Techniken finden Einzug in GEMMA – sei glücklich oder stirb, werden aber von einer gänzlich anderen Perspektive beleuchtet. Bis zu welchem Grad macht Selbstoptimierung glücklich? Und sind negative Emotionen wirklich so schlecht, dass wir stets bemüht sind, diese zu verbergen?
Diesen Fragen geht Charlotte Richter in ihrem dystopischen Roman auf den Grund. Im Mittelpunkt steht dabei Gemma, die – wie es sich in einer klassischen Dystopie gehört – in einer scheinbar perfekten Welt lebt. Die Menschen sind stets bemüht an sich und ihren Einstellungen zu arbeiten und positiv durchs Leben zu gehen. Durch moderne Technik ist es inzwischen möglich, die Emotionen eines jeden Menschen für jeden sichtbar abzubilden. Und zwar in einem Arkanit, der um den Hals getragen wird. Dabei dürfen nur diejenigen frei und selbstbestimmt leben, deren Gefühle positiv genug sind. Andere werden verstoßen oder müssen – wie der Titel bereits provokativ verrät – sterben. In dieser Welt, nämlich der Welt des Jahres 2105, lebt Gemma, die dafür kämpft, ihren Vater aus dem Sperrgebiet, in dem die Verstoßenen Menschen leben, zurückzuholen. Bei all ihren Bemühungen, begegnet sie dabei einen jungen Mann namens Keno, der wiederum dafür kämpft, alle seine Gefühle – einschließlich der negativen – legitimiert fühlen und ausleben zu dürfen. Aber was es mit Gemmas besonderer Gabe auf sich hat und wieso der auf dem Cover gezeigte Regenbogen eine entscheidende Rolle spielt, sei hier noch nicht verraten.
Während die heutige Gesellschaft gerade dazu drängt, immer positiv zu bleiben und stets das Beste aus sich herauszuholen, setzt Charlotte Richter mit ihrem Buch dagegen, indem sie eine so perfekte Welt entwirft, wie sie häufig auf Social Media ihre Bühne findet. Immer wieder grübelt man als Leser:in zusammen mit der Protagonistin, ob es wirklich so toll ist, immer glücklich sein zu wollen und wie man am besten mit Menschen umgeht, die unglücklich, verärgert, traurig oder wütend sind. Klassischerweise für eine Dystopie wird hier eine Gesellschaft in der Zukunft beschrieben, die unheimlich viele Bezüge auf unsere heutige Zeit schließen lässt. Trotz der großen Relevanz und Alltagsnähe des Themas, werden von Charlotte Richter immer wieder fantastische Elemente in die Geschichte verwoben, sodass wir uns in einer bekannten und doch fremden Welt wiederfinden.
Der Roman lässt sich flüssig lesen und ist spannend geschrieben. Er wurde mit vielen tiefsinnigen Dialogen gespickt, welche für die Protagonistin sowie auch für LeserInnen einige neue Perspektiven eröffnet. Dabei vereint die Schriftstellerin Fantasy- und Science-Fiction-Elemente mit Gesellschaftskritik und einer Geschichte über Liebe und Freundschaft, sowie Selbstbestimmung. Die Geschichte findet mit Ende des Buches ihren Abschluss und doch bleibt die persönliche Frage offen, wie man am besten mit Emotionen und Gefühlen umgehen soll.
von Joana Hofmann
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Charlotte Richter
GEMMA – Sei glücklich oder stirb
Arena Verlag 2021
458 Seiten
18 Euro