Ein bisschen viel Ich und zu wenig Hamburg
Hamburg, Sex City. Ein Titel, der trügt. Ja, vieles spielt sich im vor allem für die Reeperbahn bekannten Hamburger Kultbezirk St. Pauli ab, doch Sex steht nicht an erster Stelle. Der Beschreibungstext auf der Buchrückseite verrät mehr über den Inhalt – Schlagwort: Subkultur. Autor Joachim Bessing taucht mit seinem Buch in das subkulturelle Hamburg der Neunzigerjahre ein und lässt es wieder aufleben. Das gelingt ihm, nur leider Gottes verstrickt er sich in den an das „Lebenskapitel“ Hamburg heranführenden und von Hamburg wieder wegführenden Seiten in autobiographisches Palaver, wobei man sich fragt: Geht es für Bessing hier eigentlich darum, Hamburgs Subkultur zu skizzieren oder vielmehr darum, inmitten einer gefühlten Midlife-Crisis ein zwischenzeitliches Lebensfazit zu ziehen? Für Bessing scheint beides eng miteinander verstrickt zu sein.
Ein Junge aus der schwäbischen Provinz, ein Pubertierender, und seine Kumpels – wie man sich das eben so vorstellt in den Teenage-Tagen. Und eine Zeitschrift, das legendäre Hamburger Lifestyle-Magazin Tempo. Wir sind in den 1980er Jahren und für Autor Bessing ist das damalige Ziel klar: per Zug nach Hamburg zu tingeln und in jene Stadt einzutauchen, die subkulturell am Aufstreben ist. Wir begeben uns auf einen beobachtenden Stadtrundgang, literarisch auf ästhetische und poetische Weise geschildert. Dazu immer wieder Namedropping, seien es Künstler oder Plattencover oder Verweise auf Filme. Man merkt sofort: Bessing kennt sich aus, ist ein Kulturkenner oder vielmehr ein Subkultur- und Szenenkenner; ehe es einen zurückwirft in Bessings Jugendzeit, nämlich dann, wenn plötzlich nicht mehr der erwachsene Kulturkenner Bessing erzählt, sondern der Jungspund Bessing. Nach der Schule zieht Bessing tatsächlich mit seinen Freund*innen nach Hamburg. Eine Wohnung oder vielmehr eine Bude. Der mal mit der und die mal mit dem. Alkohol und Rauchen und Ekstase. Junge Wilde, die sich irgendwo zwischen Studium und Brotverdienen wiederfinden – am liebsten mit Popkultur- und Musikjournalismus, und nebenher als Discjockey –, die in eben jener, damalig populären Subkultur Fuß fassen wollen. Und wie es das Leben so will, dringen sie dann tatsächlich in die Kreise vor und sitzen mit Jochen Distelmeyer bei Kaffee und Kuchen zusammen und lauschen seinen neusten Songs. Trashig. Das ist wohl das Adjektiv, das den gesamten Stil des Buches am besten auf den Punkt bringt.
So wie der Inhalt – ein inkonstantes Leben, das mal taumelt, mal fällt und wiederaufsteht, aber vor allem ständig im Wandel ist –, so ist auch der Stil ein einziges Kuddelmuddel. Mal poetisch, mal nüchtern, dann überaus modern oder „cool“, etwa wenn englische Begriffe nur so purzeln. Und auch die Schilderungen von Situation sind mitunter wild aneinandergereiht, wobei man beim Lesen schnell den Durchblick verliert. Meint man sich gerade in einer Begebenheit hineingefunden und halbwegs den Überblick zu haben, so reißt einen die Narration prompt wieder heraus. Es scheint manchmal gar so, als habe man ein Puzzle vor sich, dessen Teile willkürlich zusammengesetzt worden sind und man sich das eigentliche Bild des Puzzles zusammenreimen muss, obgleich natürlich die Chronologie der Geschehnisse den roten Faden vorgibt.
Jede Zeit hat ein Ende. Das Studium ist rum, der eine verlässt die WG, zieht in Wohngegenden für Gutbetuchtere. Der andere folgt. Kurt Cobain stirbt. Und dann Bessings Liebe Elektra. Und zack sind wir in Jamaika, eine Reise Bessings auf den Spuren Bob Marleys und eben auf jener Elektras, die Bessing von dort einmal eine Postkarte zukommen ließ. Und somit findet auch der Kitsch seinen Platz in diesem Büchlein, was durch den Schluss noch einmal forciert wird: „Wenn ich jetzt sterben müsste, dachte ich, stürbe ich als glücklicher Mensch“. Na also, Ende gut, alles gut. Was soll man davon halten? Auch nach einigen Tagen des Weglegens, ist man nicht wirklich schlauer geworden. Soll das Subkultur sein? Alles kann, nichts muss? À la „Anything goes“? Ein Motto, weshalb Bessing selbst doch damals sein Tempo-Abo gekündigt hatte. Man weiß nicht so recht. Ziemlich trashig alles. Aber so ganz überzeugt Bessing damit nicht.
von Jasmin Wieland
Joachim Bessing und Christian Werner
Hamburg. Sex City
Matthes & Seitz Berlin 2021
186 Seiten
16 Euro