Völlige Dunkelheit
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Nesta Archerons verstörende Sicht auf die Welt der Fae in Prythian soll in Sarah J. Maas Das Reich der sieben Höfe – Sillbernes Feuer im Mittelpunkt stehen. Die Protagonistin – kalt, herablassend, egoistisch, nachtragend und wütend – spielt in den vorhergehenden vier Bänden noch keine tiefergehende Rolle. Nun erwartet die Leser:innen im neuen Band der Bestsellerreihe aber wie Nesta grauenerregende Ereignisse der Vergangenheit überwindet, ihre neuen Kräfte auf der Suche nach drei magischen Artefakten einsetzt und wie ihre zwischenmenschlichen Beziehungen bei drohenden Gefahren erstarken.
„Am Anfang
Und am Ende
War Dunkelheit
Und sonst nichts“
Zu Beginn des Buches wird Nestas selbstzerstörerische Art durch Feyre, ihre Schwester und High Lady des Hofes der Nacht, unterbunden. Nach durchzechten Nächten, identitätslosem Sex und ausmerzender Selbstaufgabe schickt diese die Hauptfigur wie ein unartiges Kind zur Arbeit in die Tiefe der Bibliothek und zum Training mit dem illyrianischen Krieger Cassian. Mit diesen Ausgangspunkten steht der Weg Nestas aus der Dunkelheit und ihr mentaler Zustand im Fokus der ersten Buchhälfte. Nestas geraubte Kräfte nehmen im Laufe des Bandes immer mehr Gestalt an, wobei deren Ausmaße auch immer weitreichende Gefahren bergen. Zudem kommen versteckte Machenschaften und dunkle Geheimnisse an die Oberfläche, die Prythian in einen weiteren Krieg verstricken könnten.
Augen heller als der Mond am Himmel
Konzentrieren sich die Lesenden nur auf die Figur Nesta, ist diese spannend. Denn Elend, Schmerz und Selbstverachtung sind Nestas tägliche Begleiter im Kampf für und gegen sich selbst, wobei die zunehmende Kräftigung von Geist und Körper eine ausführliche Charakterentwicklung porträtieren. Außerdem sind ihre autonome Suche nach Freund:innen und der Fokus auf die physische und psychische Ausbildung von weiblichen Figuren eine von Sarah J. Maas bisher nicht eingesetzte Möglichkeit, feministische Ansichten in die patriarchale Welt der Fae einzubringen.
„Du musst nicht einem unerreichbaren Ideal nachstreben. Du musst nicht niedlich und einfältig werden. Du kannst jeden mit diesem Ich-werde-meine-Feinde-töten-Blick mustern – der übrigens mein Lieblingsblick ist.“
Cassian ist die männliche Hauptfigur des Romans. Dabei hört er Nesta zu und reflektiert über sich selbst. Allerdings zeigt der neue Fokus auf seine Figur die gleichen Charakterzüge wie in anderen Werken Sarah J. Maas und am Ende kann in Frage gestellt werden, ob seine Rolle – über die Hilfe bei Nestas Charakterentwicklung und ihren gemeinsamen expliziten Sexszenen hinaus – überhaupt Bestand hat. Weitere bekannte Figuren aus der Das Reich der sieben Höfe-Reihe finden ebenfalls einen nicht minderen Teil in Nestas Geschichte. Das Eingehen von Beziehungen sowie das Überwinden von Vorurteilen sind für die Protagonistin zentrale Faktoren, wobei ihr innerer Friede und das Schenken neuen Lebens im Gegensatz zum Tod am Ende überwiegen.
Aller Sarah J. Maas Art geschieht zum Schluss des Buches wieder alles auf einmal. Um nichts vorwegzunehmen, sind nur die Aufgabe von Kräften für andere Figuren und das Nichtanerkennen eines historischen Sieges als wichtigste Punkte zu nennen.
„Zählte sie denn? War sie es überhaupt wert? Das war die Frage, die alles in ihr zerbrechen ließ.“
Resümierend ist Nesta der Bösewicht in ihrer eigenen Geschichte, wobei der Hass auf sich selbst bis kurz vor Ende ein Wegbegleiter ihrer Entwicklungsreise ist. Sarah J. Maas widmet sich in Das Reich der sieben Höfe – Silbernes Feuer vor allem ihrem Charakter und weniger der Fantasy, wobei Nestas mentale und körperliche Reise kurz vor Ende doch noch glückt. Durch andere Charaktere werden Handlungen zwar meistens vorangetrieben, jedoch schafft es Sarah J. Maas in diesem Band eben auch bisher gemochte Charaktere zu egoistisch anmaßenden Figuren umzuschreiben, die zum Ende hin die neue Stärke Nestas in all ihren Facetten um Jahre zurück katapultieren.
von Paula Heidenfelder
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Sarah J. Maas
Das Reich der sieben Höfe – Silbernes Feuer
Aus dem amerikanischen Englisch von Franca Fritz und Heinrich Koop
dtv 2021
816 Seiten
21 Euro