„Der Winter war da.“
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Katherine Mays Überwintern – Wenn das Leben innehält – aus dem Englischen von Marieke Heimburger übersetzt – ist eine Empfehlung für all diejenigen, die im Winter den inneren Drang verspüren, sich vom Alltagstrubel und der lauten Welt zurückzuziehen. Dabei durchschreitet May in ihren Kapitelüberschriften schon fast symptomatisch die kalte Jahreszeit von September bis März. Das Ergebnis sind kleinen Anleitungen und tiefergehende Gedanken in Sachen Selbstfürsorge und Innehalten.
„Wir müssen lernen, unsere Winter zuzulassen. Es liegt nicht bei uns, ob ein Winter einkehrt – aber es liegt bei uns, wie wir mit ihm umgehen.“ (S. 24)
Im Spätsommer, in Mays Prolog „September“, zeigen sich sodann erste Phasen der Veränderung, der einkehrenden Stagnation. Und so wird ein schmerzhafter Moment zum Anfangspunkt des eigenen Winters. Dabei beschreibt die Ich-Erzählerin in fließender, persönlicher Form verschiedene Lebensereignisse, in denen Zeiten des Rückzugs wichtig sind. Eine besondere Qualität erhält Überwintern dadurch, dass May diese Ereignisse auch mit den Ruhe- und Erholungsphasen von Tier und der Natur erläutert, die sich eben nicht nur weitreichend, sondern auch wiederkehrend auf den Winter vorbereiten. Aktionen, die im menschlichen Dasein größtenteils nicht ohne Spott der Gesellschaft vorkommen. Anders die Erzählerin, die sich die natürliche Umwelt zum Vorbild nimmt und jene selbstfürsorglichen Vorbereitungen in einer Phase trifft, in der sie am liebsten verschwinden würde.
„Im Winter ist man stets nur wenige Schritte von der Dunkelheit entfernt.“ (S. 43)
Langwierige Tätigkeiten im eigenen Haushalt, skandinavische Bräuche sowie Hygge sind erste Anlaufstellen, wobei über sieben Monate hinweg immer wieder neue Möglichkeiten des Zurückfahrens und der Selbstfürsorge aufkommen. So feiert die Erzählerin beispielsweise Halloween, ein Brauch, mit dem das Vertreiben böser Geister, das Überqueren der irdischen und jenseitigen Welten mit dem bevorstehenden Tod und dem Schwelgen in Erinnerungen verbunden ist. Es sind genau die Veränderungen von Sommer zu Herbst, das Haushalten mit den eigenen Energien und die einsetzenden tiefen Schlafphasen, die zum Dreh- und Angelpunkt vom Mays Anleitung zum Überwintern werden. Dabei endet das Jahr wieder mit traditionellen wie mythischen Ereignissen und ruhigen Momenten des Übergangs. Hier sticht besonders eine Passage hervor, in der die Erzählerin während ihrer Schwangerschaft Polarlichter auf Tromsø erlebt. Einer Erfahrung, die das Ich mit dem Kontrast zwischen der Schönheit und Großartigkeit, aber auch mit der Gefahr und Stagnation von Schnee konfrontiert. Ende März setzt der Epilog und damit der Endpunkt vom Überwintern ein. Hier zeigt sich, dass frühes Vorbereiten und die Besinnung auf das Wesentliche für Ruhe und innere Einkehr sorgen können.
„Du brauchst ein Leben, mit dem du zurechtkommen kannst, keins, von dem andere Leute wollen, dass du es lebst.“ (S. 198)
Mays Überwintern ist damit ein Buch, in dem immer wieder geblättert werden kann, das einfühlsam alltägliche Vorkommnisse beschreibt und die Lesenden selbstreflektierend zurücklässt. Dabei stehen innere Zustände und intime, selbstbezogene Situationen im Zentrum, die mit tiefergehenden, fast philosophischen Gedankengängen verknüpft werden. Nicht zuletzt brilliert Mays Hommage an die kalte Jahreszeit und das Überwintern durch ihre leicht verständlichen Ausführungen oder Vergleiche, die durch ruhigen Tiefgang und ihrer Alltäglichkeit überzeugen.
von Paula Heidenfelder
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Katherine May
Überwintern – Wenn das Leben innehält
Aus dem Englischen von Marieke Heimburger
Insel Verlag 2021
272 Seiten
22 Euro