„Wir hüpfen immer wieder an den Anfang der Schallplatte“
Kurz vor 20 Uhr hatte sich bereits eine Schlange zum Eingang ins Studio des ETA Hoffman Theaters gebildet, geduldig ausharrend, mit Blick auf den Stapel zu verkaufender Bücher, die von der Buchhandlung Neue Collibri angeboten wurden. Alice Hasters würde an diesem Abend aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ vorlesen und sich allen Fragen stellen, die das Publikum und die Moderatorin für sie hatten.
Alice Hasters selbst arbeitete viele Jahre bei der Tagesschau und anderen journalistischen Formaten. Sie bringt also ihre journalistische Expertise, Sprachgewandtheit und eigene Erfahrungen mit, um Menschen Zugang zu Themen beispielsweise rund um Rassismus geben zu können, bei denen oftmals noch nicht genug Empathie gefördert wurde. Ihr Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ hat dabei einen besonderen Zugang, denn es besitzt autobiografische Tendenzen, gerade weil man nicht über Anti-Schwarzen Rassismus schreiben kann, ohne es nicht auch selbst erlebt zu haben. (Etwas, dass sich viele weiße Menschen sehr gut merken sollten.)
Die Veranstaltung war zu ähnlichen Teilen Lesung wie Gespräch. Zu Beginn las Alice Hasters aus ihrem Buch vor, um dem Publikum den Einstieg in das Thema zu erleichtern und anschließend bestimmte Themenpunkte diskutieren zu können. Gerade zum Aspekt Kulturelle Aneignung wurde dann erneut aus dem Buch gelesen, da es sich hierbei um ein zeitgenössischen Auseinandersetzungsbedarf handelt, der sich sehr oft im täglichen Leben zeigt.
Alice Hasters hat hierbei wunderbar gelesen, das Publikum lauschte gespannt und aufmerksam, der ganze Raum schien in ihren Bann gezogen worden zu sein. An dieser Stelle kann auch das Hörbuch sehr empfohlen werden, besonders da die Autorin es selbst einsprach.
Wer sich schon etwas mehr mit Anti-Rassistischem Aktivismus beschäftigt hat, konnte einige Gesprächspunkte wiedererkennen. Jedoch konnte man auch als weniger informierte Person dem Gespräch gut folgen. An jede Frage, die Alice Hasters gestellt wurde, ging sie mit Gewissenhaftigkeit heran, wählte ihre Worte mit Bedacht und weitete den roten Faden manchmal aus, um gut die Hintergründe zu ihren Antworten schildern zu können.
Die wohl wichtigste und lauteste Botschaft des Abends war, dass Rassismus und rassistische Äußerungen nicht nur in Extremisten-Kreisen existieren, sondern auch im Alltag und der bürgerlichen Mitte zu finden sind. Rassismus darf nicht länger ein Tabuwort sein, dessen alleinige Nennung oft als schambehafteter Affront von weißen Menschen gegen sich selbst wahrgenommen wird, was wiederum allzu oft davon ablenkt, wer was gesagt oder konstruktiv gemeint hat. Vielmehr geht es darum, anzuerkennen, dass Rassismus eine Struktur hat, die jedem Menschen in Deutschland mitgegeben worden ist und eben auch noch wird. Es geht darum eine persönliche wie gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus anzukurbeln, denn nur indem wir rassistisches Denken aktiv entlernen können wir Rassismus bekämpfen und die systematischen Strukturen aushebeln, die so viele BIPoC (= Black und Indigenous People of Colour) heute noch einschränken. Hilfreich wäre dabei auch, wenn Deutschland endlich Worte finden würde, die Rassismus und seine Feinheiten näher beschreiben können. Durch die jahrelange und zudem bequeme Ignoranz hat Deutschland erschreckend wenig Begriffe, um diese Ungerechtigkeiten sprachlich zu fassen. Dabei sollte gerade dem Land der Dichter und Denker daran gelegen sein, Worte dafür zu finden. Eine letzte Konsequenz wäre dann, dass uns die Bedarfsentlehnungen aus dem US-amerikanischen Raum (der in Sachen Anti-Schwarzer Rassismus um Längen weiter ist als wir) erschlagen werden und wir schließlich vor lauter Anglizismen keine produktive Debatte in Deutschland vorantreiben können.
Das Faszinierende und Schöne an dieser Lesung war, wie Brücken zwischen verwandten Themen geschlagen wurden. Rassismus und Anti-Rassismus Arbeit existiert nämlich unabhängig von Ländergrenzen und beschreibt auch keinen leeren Raum – durch Social Media, aber auch wirtschaftliche Knotenpunkte, wird ein Diskurs auf der ganzen Welt geführt und sich gegenseitig beeinflusst. Gerade der Blick in die USA und das Vereinigte Königreich beeinflusst die Debatten in Deutschland sehr. Dazu kommen noch die damit einhergehenden Verschränkungen zwischen historischen Geschehnissen, wie Kolonialgeschichte – auch Deutschlands – und wie heute damit umgegangen wird, beziehungsweise wie viel Aufarbeitung dort noch fällig ist. Rassismus ist ein lebendes, atmendes Ding, dass von der Ignoranz und den Privilegien der weißen Vorherrschaft profitier. Ein Armutszeugnis für das 21. Jahrhundert, in dem immer noch fehlende oder schlechte Aufarbeitung, rudimentär geführte Aufklärung und langsames Umdenken vorherrschen.
Aber nicht nur in der eigenen Geschichte warten noch Probleme, die geklärt werden müssen, auch heute zeigt sich immer wieder, wie aktuell beziehungsweise stagniert der Diskurs immer noch ist. Das vor bald 30 Jahren erschienene Buch „Farbe bekennen“ von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz bespricht schon ganz ähnliche Themen und Gedanken wie wir sie auch heute wieder vorfinden – weil der Diskurs sich gerade in Deutschland nicht groß weiterentwickelt hat, weil die Kompetenzen zu den Themen nicht vorhanden sind oder gefördert werden und es oftmals noch als „Trend“ und nicht als Lebenserfahrung mit systematischer Struktur angesehen wird.
Deutlich wurde bei diesem Gesprächsteil auch, dass es immer noch nicht genug Experten*innen zu Anti-Schwarzen Rassismus in deutschen Diskussionsrunden gibt und schon gar nicht genug, die tatsächlich davon betroffen sind. Als die Black-Lives-Matter-Proteste 2020 ihren Höhepunkt erreichten und endlich auch in Deutschland thematisiert wurden, saßen verblüffend viele weiße Menschen in Gesprächsrunden, die Rassismus diskutiert haben. Das ist auf gleicher Ebene anmaßend, wie wenn Männer über die reproduktiven Feinheiten von Frauen und Menschen, die menstruieren, bestimmen wollen.
In der anschließenden Fragerunde wurde deutlich, dass nicht jede*r dieselben Botschaften aus der Lesung mitgenommen hatte und wichtige Lektionen und Denkanstöße übergangen wurden, wenn beispielsweise eine diskriminierende Bezeichnung unbedacht wiederholt verwendet wurde, trotz des Hinweises der Sprecherin, dass man dies auch sein lassen könnte. Eine gewisse Hesitation war zu Beginn vom Publikum zu spüren, Fragen zu stellen, was zum gewissen Teil auch daran liegen könnte, dass erstmal verarbeitet werden musste, was neu erlernt wurde. Nach der offiziellen Veranstaltung gab es immer noch die Möglichkeit, der Autorin Fragen zu stellen und ins Gespräch zu kommen, und besonders die studentische Zuschauerschaft schien dies sehr gerne in Anspruch zu nehmen.
ETA Hoffmann Theater Bamberg, Studio
Im Rahmen der 38. Bayerischen Theatertage
Lesung von Alice Hasters zu „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“
17.05.2022, 20 Uhr
von Friederike Brückmann