„Was Liebe kann, probiert sie immer aus!“
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Im Namen dieser Worte erweckt das ETA Hoffmann Theater William Shakespeares Tragödie Romeo und Julia anlässlich der Calderón-Spiele zum Leben. Interpretiert als klassisch-modernes Theater, versprüht die Inszenierung zeitgleich eine Leidenschaft für den traditionellen Stoff und eine gegenwartsgewandte Haltung. Vor der Szenerie der alten Hofhaltung zieht Romeo und Julias berauschende Liebe das Publikum in ihren Bann. Inmitten des Bürgerkriegs zwischen den Familien Capulet und Montague steht die Zukunft des jungen Liebesglücks aber unter einem schlechten Stern.
Wesentlich besser ist es um die Schauspielkunst des Ensembles bestellt: Die Besetzung brilliert mit authentisch gespielten Charakteren, die vielfältiger nicht sein könnten. Leon Tölles Schauspieldebüt als pazifistischer Romeo, der an der Liebe zerbricht, harmoniert mit Antonia Bockelmanns starker Interpretation der Julia perfekt. Nicolas Streits aufbrausender Mercutio erweist Shakespeares anzüglichen Pointen alle Ehre. Besonders mitreißend gelingt Iris Hochberger die Rolle der theatralischen und gutherzigen Amme, die zur heimlichen Protagonistin der Bamberger Inszenierung aufblüht. Philinie Bührer verleiht Lady Capulet eine Kälte, die jegliche Gefühlregungen in den Adern erstarren lässt. Ihre Interaktionen mit Julia spinnen hier die Fäden für ein Mutterschafts-Drama par exellence.
Die mittelalterliche Szenerie der Alten Hofhaltung ist atmosphärisch präsent, doch tritt sie elegant hinter die eigentliche Bühne zurück – ein spannender Schritt, um das Drama zu aktualisieren. Das Stück bewegt sich vor einer innovativen Kulisse mit dynamischen Raumstrukturen: Ein monochromer Treppenkreislauf lenkt den Fokus auf leuchtend-rote Kostüme und Requisiten. Innerhalb dieser reduzierten Ästhetik kann sich die Imagination des Publikums frei entfalten, bis Schauspiel und eigene Fantasie fusionieren. In den Zwischensequenzen wirkt die Bühneninszenierung symbolträchtig, in militärischer Manière marschieren die Charaktere über die Stufen, gefangen in einem Zyklus aus Krieg und Hass. Derbes Schuhwerk, Uniformen und Sonnenbrillen verbildlichen eine Welt, die blind für den Frieden ist.
Aus den Lautsprechern ertönen Liebeslieder internationaler Künstler*innen, aber auch die Klänge von erschütterndem Sirenengeheul. Der Wechsel der Requisiten vollzieht sich, wie selbstverständlich, vor den Augen der Zuschauer*innen. Selbst der leidende Romeo ist in diesen Prozess involviert, als er voller Verzweiflung einen Bannertext zum Schriftzug „Ich LIEBE“ erweitert – eine adressatenlose Aussage oder eine bewusste Parallelisierung zum Satz „Ich lebe“? Diese Effekte rütteln das Publikum wach, brechen die Illusion für eigene Gedankengänge. Als wäre es für die Inszenierung vorgesehen, segeln Schwalben über den Himmel, wie ein Sinnbild der Freiheit und ewigen Verbindung. Die bedeutungsschwangeren Liebesvögel formen in jedem Fall einen grandiosen Kontrast zu den scheiternden zwischenmenschlichen Verbindungen. Dabei schlagen sie eine Brücke zwischen dem Flair der Hofhaltung und der effektvollen Bühne.
Besonders zeitgemäß ist das queere Pendant zu Romeos und Julias unsäglichem Liebesleid: Tybalt provoziert ein Gefecht, das nicht nur Romeos Schicksal besiegelt, sondern auch zu Mercutios Ermordung führt. „So stirbt ein Gott!“ – Das sind die letzten Worte von Romeos charismatischem Freund, bevor er durch Tybalts Schwert stirbt. Als Benvolio die blutüberströmte Leiche seines Geliebten findet, bricht der Soldat angesichts des unsagbaren Verlusts in Tränen aus und klammert sich flehend an den Toten. Dieses Moment der emotionalen Gleichstellung zeigt: Liebe greift tiefer als alle Normen, auch mit ihrem Schmerz.
Diese fesselnde Romeo und Julia-Inszenierung besticht durch Zeitlosigkeit, Aktualität und die Endlichkeit unter dem unendlichen Sternenhimmel – insgesamt ein Highlight des Bamberger Theatersommers und gewiss der Calderón-Spiele.
Weitere Termine: 6. 7. / 12. 7. / 13. 7. / 14. 7. / 15. 7. / 16. 7. / 17. 7. / 20. 7. / 21. 7. / 22. 7. / 23. 7
von Elisa-Maria Kuhn
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