Dolly Alderton – Gespenster
Dolly Alderton – Gespenster

Dolly Alderton – Gespenster

Leben, Daten und Erwachsensein als Millennial Frau

Ghosten – der Akt der Heimsuchung durch unvermittelten Kontaktabbruch. Besonders häufig zu sehen im Mienenfeld des Online Datings, wo die Partnersuche sich teilweise gefährlicher und riskanter herausstellt als eine Runde russisches Roulette und ‚den oder die Eine*n finden‘ unwahrscheinlicher ist als im Lotto zu gewinnen. Genau darum (und um noch so viel mehr) dreht sich Dolly Aldertons Bestseller-Roman Gespenster. Einst tätig als Dating Kolumnistin in der Sunday Times versteht die junge Autorin ganz genau, wie schwer es ist, mit über dreißig im Online Dating Markt um die ersehnte Liebe des Lebens zu konkurrieren, welchen stereotypen Charakterprofilen man dabei immer wieder über den Weg läuft und wie unromantisch und repetitiv doch erste Kontaktversuche und Kennenlernen über Dating Apps sind.  

Ihren durchschauenden Blick überträgt Alderton in ihrem Roman auf ihre Hauptfigur Nina, eine Anfang dreißig jährige Schriftstellerin aus London. Nina befindet sich gewissermaßen im Herzen des Fegefeuers aller gängigen Erwartungen und Hürden, mit denen eine Frau ihres Alters zu kämpfen hat. Allem voran die Erwartung, dass sie in einer (glücklichen) Beziehung, im Idealfall eigentlich schon verheiratet und Mutter sein sollte, so wie es scheinbar für die Mehrheit ihrer Generation funktioniert hat. Während man in seinen Zwanzigern noch auf das große Glück warten durfte, bleibt Frauen über dreißig keine andere Wahl als aktiv danach zu suchen. Und wo ginge dies besser als online in einem, auf den ersten Blick, endloserscheinendem Pool an potenziellen Partner*innen. Dass das Ganze wesentlich komplizierter und schmerzhafter ist als die Apps behaupten, erfährt Nina bald selbst.

Ich bin dreiunddreißig, verdammt. Mein Alter habe ich mir mühevoll zusammengesammelt, es ist meine Stärke. Meine Zierde. Kein Nachteil.“

Dolly Alderton, eine wahre Menschenexpertin, behandelt in ihrem urkomischen doch gleichzeitig auch erschreckend realen Roman eine Reihe von altersgemäßen Problemen. Weitaus mehr als ein Buch über die Enttäuschungen des Online Datings, erzählt Gespenster von den vielen emotionalen Hürden, die das Erwachsen- und Älterwerden mit sich bringen: das Erkranken des eigenen Vaters, der einen nach und nach vergisst, das Auseinanderleben bester Freundinnen, die bröckelnde Beziehung zur Mutter, das Heimweh nach der eigenen Kindheit, die Angst, irgendwann ganz allein zu sein. Aldertons Roman ist eine wahre Achterbahn der Gefühle. Während ihr humorvoller Schreibstil einen immer wieder laut auflachen lässt, bringen Ninas unverblümte Beobachtungen einen wieder auf den harten, kalten Boden der Tatsachen. Doch auch wenn Alderton uns keine Lösung für den einschüchternden und traurigen Kampf ein akzeptabler Erwachsener zu werden gibt, so liegt in ihrer Wahrheit doch so etwas wie Frieden. Letztendlich sitzen wir alle im selben Boot.

von Amira Hajredini

Dolly Alderton
Gespenster
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Atlantik 2021
384 Seiten
22,00 Euro

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