Michael McCarthy – Faltergestöber
Michael McCarthy – Faltergestöber

Michael McCarthy – Faltergestöber

„Wer schreibt Klagegesänge für Flussmündungen?“

Michael McCarthy plädiert in seiner teils autobiographischen Erzählung „Faltergestöber“ für den Umweltaktivismus, dem ein ausschlaggebendes Element fehlt: die Liebe. Doch woher rührt dieser Ansatz? Der Journalist wächst in schwierigen Familienverhältnissen auf der englischen Halbinsel Wirral auf. Seine Kindheit ist gezeichnet von der Krankheit seiner Mutter und einer unbändigen Faszination für Schmetterlinge. Dieses Staunen weitet sich aus zu einer tiefen Bewunderung für die wilde Natur Großbritanniens, deren Flora und Fauna unermesslich scheint. In der Wildnis allein findet der Autor Frieden. Deshalb verbringt Michael McCarthy seine Jugend mit der Vogelbeobachtung im nordenglischen Mündungsgebiet Dee, über dessen Natur er schwärmt: „Ich liebte sie so intensiv, wie ich je etwas geliebt hatte.“ Doch die Landschaft erfährt im Spiegel der Zeit einen dramatischen Wandel, anstelle von Fülle tritt Seltenheit. 

Ein Plädoyer für eine besondere Liebe
Die schleichende Umweltzerstörung durch die intensive Landwirtschaft wickelt sich vor den Augen von McCarthys Generation ab, bleibt jedoch in ihrem Ausmaß verschlossen für die folgenden Jahrgänge. McCarthy erinnert an Naturphänomene, die selbstverständlich schienenund heute doch verschwunden sind: „Das Scheinwerferlicht eines Wagens, der an einem schwülen Sommerabend auf dem Land unterwegs war, ließ die Nachtfalter wie Schneeflocken erscheinen, und je schneller man fuhr, desto dichter wurde das Faltergestöber“. An diese Faszination möchte McCarthy in seiner Erzählung anknüpfen. Der Journalist spricht sich für eine evolutionsbiologische Veranlagung des Menschen aus, Liebe und Bewunderung für die Natur zu empfinden. Diese Gefühle würden Umweltbewegungen nicht ansprechen, indem sie allein an die wirtschaftlichen Leistungen des Ökosystems oder an moral-ethisches Verhalten appellierten.  McCarthy sieht „das fünfzigtausend Generationen alte Band zwischen Mensch und Natur“ als Antwort, um Veränderungen zu bewirken, bevor es zu spät ist.

Ein Blick durch das Fernglas eines Naturbeobachters
Der Autor verflicht persönliche Erfahrungen mit Fakten über das globale Ökosystem, das zerbrechlich ist wie ein Schmetterlingsflügel. Dessen Fragilität ähnelt auch McCarthys jüngerem Ich: Die Liebe zur Natur wirkt in der Rahmenhandlung rund um das Leben des Autors heilsam für Kindheitstraumata. Der Schreibstil des Journalisten ist durchzogen von einer Emotionalität und Dringlichkeit, welche die persönliche Bedeutung des Themas für den Autor an die Lesenden herantragen. McCarthy gewährt Einblicke in unterschiedlichste Spezies und erweist sich als Experte, jedoch ufern seine Ausführungen – gerade im Hinblick auf einzelne Arten – zu sehr aus.  In vieler Hinsicht bindet der Journalist Textauszüge aus der Naturlyrik ein, die als spirituelle und kulturelle Stütze seiner Thesen dienen. Die Erzählung „Faltergestöber“ gestaltet sich etwas langatmig, allerdings zeigt das Buch eine neue, wichtige Perspektive in Form einer verletzlichen Klage auf, wie sie nur die Geduld leidenschaftlicher Naturbeobachter*innen hervorbringen kann.

von Elisa-Maria Kuhn

Michael McCarthy
Faltergestöber
Matthes & Seitz Berlin 2021
280 Seiten
25 Euro

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