Paradies und Hölle liegen manchmal nah beieinander
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Zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, prallen in Das Paradies meines Nachbarn von Nava Ebrahimi aufeinander. Zwischen Meetings von Topdesigner*innen in München bis hin zur Front im Iran-Irak-Krieg werden die Lebensgeschichten dreier Männer erzählt, die durch bizarre Zufälle aneinandergebunden sind. Einer der Protagonisten ist dem Krieg entkommen, der andere für immer vom Schrecken des Krieges gezeichnet und der dritte steckt in einer Identitätskrise. Auf der Suche nach Antworten begegnen sich die drei. „Sollte es so sein, dass jeder sein Paradies selbst gestalten konnte? Ja, schloss ich, schließlich konnte das Paradies meines Nachbarn meine Hölle sein.“
Sina, der in Deutschland geboren wurde, aber persische Wurzeln hat und sich nirgends zugehörig fühlt, arbeitet in einem Designunternehmen in München. Sein neuer Chef, Ali Najjar, stammt aus Teheran und kam als Jugendlicher nach Deutschland. Er spricht offen über seine Zeit als Kindersoldat im Iran-Irak-Krieg, die ihn stark gemacht habe. Als er nach dem Tod seiner Mutter eine Nachricht vom unbekannten Ali-Reza erhält, der angibt, ein Freund seiner Mutter gewesen zu sein, bricht er nach Dubai auf. Dort möchte Ali-Reza ihm einen Brief seiner verstorbenen Mutter überreichen. Sina soll ihn auf dieser Reise begleiten und sich bei dem Treffen als Ali Najjar ausgeben, denn dieser scheut aus Angst vor der Vergangenheit die Begegnung. Was Sina bei dem Treffen mit Ali-Reza erfährt, lässt ihn schockiert zurück und ändert daraufhin alles.
Die Frage der Schuld
Erst im Laufe der Geschichte versteht der*die Leser*in, wie die Lebensläufe der Charaktere miteinander zusammenhängen. Aus dem Buch lernt man vor allem, dass Handlungen auch immer Konsequenzen nach sich ziehen. Nava Ebrahimi gelingt es, zwei sehr verschiedene Welten treffend darzustellen. Während es schwerfällt, immer alle Handlungen der Personen nachvollziehen zu können, wird man doch in ihre Ausweglosigkeit mit hineingezogen. Interessant sind vor allem die Parallelen zwischen Sina, der als Halbiraner ein sicheres Leben in Deutschland geführt hat und Ali Najjar und Ali-Reza, deren beider Leben vom Krieg geprägt wurden. Denn trotz dieses gewaltigen Unterschiedes sind sie alle drei im Unreinen mit ihrer Identität. Während zwei aus ihren Sinnkrisen hinausfinden, rutscht der Dritte erst in seine hinein. Es bleibt offen, was sie aus ihrer Begegnung lernen. Der Roman stellt nicht nur die Frage, wer von den Charakteren Schuld am Unglück des anderen hat, sondern auch, welche Rolle Deutschland im Iran-Irak-Krieg einnahm. Der Autorin gelingt es dadurch, dass ihre Leser*innen plötzlich selbst hinterfragen, vor wieviel sie die Augen verschließen. Eine glänzende Leistung von Nava Ebrahimi, die Leser*innen mit der gleichen Frage wie ihre Charaktere zu konfrontieren.
von Antonia Rick
Nava Ebrahimi
Das Paradies meines Nachbarn
btb 2020
220 Seiten
20 Euro