Sieben Frauen – Sieben Schicksale – Ein Ort
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CW: Alkoholismus, Fatphobia, körperliche Gewalt, Tod eines Kindes, Queerfeindlichkeit, Vergewaltigung
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Wer in Brewster Place wohnt, hat versagt – oder? Kakerlaken huschen über den maroden Küchentisch, die Rohre tropfen und die Heizung ist seit Monaten kaputt. In dem Roman Die Frauen von Brewster Place stellt Gloria Naylor uns sieben Schwarze Frauen vor, die in diesem scheinbar hoffnungslosen Viertel leben. Dabei werden die persönlichen Geschichten und Schicksale der Frauen zwischen den 1940er bis 1970er Jahren beleuchtet. Obwohl der Roman im Kurzgeschichten-Format geschrieben ist, überlappen die Personen und Storylines und damit schreiten die Lesenden chronologisch durch die Erlebnisse in Brewster Place.
Mattie treffen die Lesenden zuerst als junge Frau, die ungewollt schwanger wird und ihren Sohn alleine großzieht. Mehrere Jahrzehnte später wohnt sie nun in Brewster Place und nimmt dort die Rolle der strengen, aber liebenden und akzeptierenden Mutter ein.
Etta kehrt nach einigen fehlgeschlagenen Ehen und Liebschaften zurück zu ihrer Freundin Mattie und nach Brewster Place. Schafft sie es, sich ihren alten Gewohnheiten zu entziehen?
Kiswana hat mit ihren Eltern früher in dem wohlhabenden ‚Linden Hills‘ gewohnt und ist nun nach Brewster Place gezogen, um im Zuge des Black Power Movements ihre Schwarzen Schwestern und Brüder zu ermächtigen. Linden Hills ist von den Fenstern aus zu sehen und thront als Erinnerung an ihr vorbestimmtes Leben über dem heruntergekommenen Brewster Place.
Ciel steht vor den Scherben ihrer Beziehung. Ihr Partner droht sie und ihre gemeinsame Tochter zu verlassen, als ein einschneidendes Ereignis das Leben der beiden pausiert.
Cora Lee liebt Babys. Deswegen hat sie auch so viele Kinder bekommen, musste jedoch erschrocken feststellen, dass die Babys größer werden, neue Klamotten brauchen, in die Schule und zum Arzt gehen müssen. Damit ist sie nun heillos überfordert.
Lorraine und Theresa sind ein lesbisches Paar und sind gemeinsam nach Brewster Place gezogen, um der Diskriminierung, die die zwei aufgrund ihrer Beziehung erfahren, zu entgehen. Während sie zu Beginn freudig aufgenommen werden, häufen sich auch in Brewster Place die Anfeindungen.
Hoffnung und Hoffnung verlieren
Um was geht es denn nun eigentlich in Die Frauen von Brewster Place? Durch die sieben Frauen bekommen die Lesenden hautnahe Einblicke in die Lebensrealitäten von Schwarzen Frauen am Rande der Amerikanischen Gesellschaft. Auch wenn sie nicht wirklich existieren, steht jede der Frauen stellvertretend für eine unterrepräsentierte Gruppe der Gesellschaft und ihre Schicksale. Dabei geht es um Momente, die das Leben verändern, um fremde Personen, die eine helfende Hand ausstrecken und um die Hoffnung auf ein glückliches Leben. Doch manchmal bleiben diese Wünsche unerfüllt: „‘Aber ich habe immer gesagt, eines Tages, wenn die Narben alle verheilt sind, wenn es mir wirklich wieder gut geht und ich über alles, was passiert ist, hinweg bin, sodass sie stolz auf mich sein kann, dann werde ich schreiben und es sie wissen lassen.‘ […] ‚Aber dieser Tag kam nie, Mattie.‘“
Gloria Naylor schreibt mit solch einer Hingabe und rohen Emotionen, dass die Lesenden sofort in die Geschehnisse reingezogen werden. Urkomische Passagen und Witze wechseln sich schnell ab mit quälenden Gedanken und ausfallenden oder gewalttätigen Szenen. Damit ist der Roman nichts für schwache Gemüter und zehrt noch lange nach dem eigentlichen Lesen an einem. Da die Originalausgabe bereits 1982 erschienen ist, ist auch die Sprache teils für ein heutiges Publikum ungewöhnlich beziehungsweise nicht zeitgemäß. So wird des Öfteren die Selbstbezeichnung von Schwarzen Personen als „Farbige“ oder das N-Wort gewählt.
Und was geschieht, wenn alle Geschichten erzählt sind? Wenn alle Personen ihr Schicksal durchlebt haben? „Niemand weint, wenn eine Straße stirbt. […] Sie stirbt, wenn der Geruch der Hoffnung, wenn Verzweiflung, Begierde und Fürsorge von den Winden der Jahreszeit vertrieben werden; wenn der Staub sich in die Risse und Narben gesenkt und ihre unterschiedliche Tiefe und ihre Verfärbung nivelliert hat, ausgelöscht hat; wenn ihr Geist in einer Erinnerung eingeschlossen ist und vergeht. Und so wird Brewster, wenn sie stirbt, alleine sterben.“
von Kathrin Fiedler
Gloria Naylor
Die Frauen von Brewster Place
Aus dem Englischen von Sibylle Koch-Grünberg
Unionsverlag 2022
256 Seiten
14,00 Euro