Der dunkle Wald
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Ye Wenjie hat eine recht simple Aufgabe: Als Strafaufgabe soll sie, zurückgezogen in die Militärbasis „Rotes Ufer“, an der Zerstörung fremder Satelliten durch Radiowellen arbeiten. Doch durch einen Kniff gelingt es ihr, die Sonne dazu zu nutzen, eigene Signale so extrem zu verstärken, dass diese auch weit über unser Sonnensystem hinaus noch empfangbar sind. Lange passiert nichts, aber viele Jahre später erhält Ye Wenjie eine Antwort und in dieser die flehende Bitte, nie wieder Nachrichten zu senden, da dort draußen nichts Gutes auf uns Menschen wartet. Doch Ye Wenjie versendet noch eine Nachricht.
Mit der englischen Übersetzung seines Romans Die drei Sonnen im Jahr 2014 wurde Cixin Liu im Westen über Nacht zum Star, räumte u.a. einen Hugo Award ab und etablierte sich seitdem als faszinierende neue Stimme auf der Science-Fiction-Bühne. Tatsächlich bieten Die drei Sonnen, Der dunkle Wald und Jenseits der Zeit einen Blickwinkel auf das Genre, der nicht nur durch die Handlung selbst zu überzeugen weiß, sondern auch darüber hinaus viel Frisches bietet, das man so im Westen quasi nie sieht. Der Aufhänger für die gesamte Geschichte sind Lynchmorde während der Kulturrevolution in China und auch im Weiteren wird die Beziehung vieler verschiedener Menschen zum Kommunismus dekonstruiert. Gegenüber der sehr stark westlich-kapitalistisch geprägten Science-Fiction-Literatur, die ich zumindest gewohnt bin, fühlt sich Trisolaris wie etwas völlig Neues an. Höchstens ein Klassiker wie Picknick am Wegesrand oder neuere Werke russischer Literatur wie die Metro-Serie haben einen stellenweise ähnlichen Vibe.
Kosmischer Horror in Perfektion
Spätestens seit wir Menschen die Grenzen unserer Atmosphäre verlassen haben, beschäftigen wir uns mit der Frage, was dort draußen noch auf uns wartet. Von äußerst optimistischen Zukunftsfantasien, wie denen der Star Trek-Reihe, bis zu den Horrorvorstellungen in Alien gibt es unzählige Interpretationen davon, was wohl passieren würde, wenn die Menschheit tatsächlich auf Außerirdische treffen würde. Aber keine Variante dieses Szenarios hat es bisher so dermaßen effektiv geschafft, mich völlig zu verstören, wie der Kontakt mit den Trisolarianern in Lius Trilogie. Das liegt weder an Gewalt noch an übertriebenem Bombast.
Es ist viel mehr die Authentizität, mit der Liu die Geschichte erzählt, die das Szenario so beängstigend macht. Trisolaris bleibt in der Darstellung von Technik über die gesamte Distanz außerordentlich rational, die Menschheit macht hier keinen massiven technologischen Sprung, sondern muss sich in einem realistischen Schneckentempo auf die Invasion vorbereiten. Die bedrohlichen Trisolarianer auf der anderen Seite brauchen selbst eine lange Zeit für den Weg von ihrer Welt zur Erde, denn auch für sie gelten die Gesetze der Physik und der Weltraum ist nun mal unvorstellbar groß. Genau dieser Realismus funktioniert unglaublich gut, die Menschheit steht sich über weite Teile der Trilogie mehr selbst im Weg und Liu findet auch einen hervorragenden Endpunkt. Egal, ob man Science-Fiction-Fan ist oder nicht, nahezu jede*r sollte in Trisolaris etwas Interessantes finden können.
von Felix Ritzmann
Cixin Liu
Trisolaris – Die Trilogie
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse und Karin Betz
Heyne 2022
1740 Seiten
40,00 Euro