„Wer ist bereit, in die Hölle zu gehen?“
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CW: Angststörung, Drogenkonsum, Drogenmissbrauch, Gewalt, sexuelle Belästigung, Suizid, Tod, Trauer, Vergewaltigung
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Spoilerwarnung: Da es sich hier um einen zweiten Band handelt, sind mögliche Spoiler im folgenden Text zu finden.
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… Alex Stern eher weniger. Dennoch betreten sie und weitere schon bekannte Charaktere aus Das neunte Haus in der Fortsetzung Wer die Hölle kennt unbekanntes Terrain, um Daniel Arlington zu retten.
„Omnia mutantur, nihil interit. Alles ändert sich, nichts verschwindet.“
Auch der zweite Band der Urban-Fantasy-Reihe von Bestseller-Autorin Leigh Bardugo bietet ein Campus-Leben voller dunkler Magie, bei dem acht studentische Verbindungen der Elite-Universität Yale seit Jahrhunderten ihre Finger bei Entscheidungen in Politik und Wirtschaft im Spiel haben. Lethe – das neunte Haus – überwacht dabei die Einhaltung der Regeln. Genau hier kommt Galaxy Stern ins Spiel: Als Geisterseherin ist es Alex im ersten Band gelungen, die Verschwörung hinter den Morden rund um New Haven aufzulösen. Dabei wurde allerdings ihr Mentor Darlington ins Nichts verschlungen. Um ihn zu befreien, muss die Protagonistin ein Tor zur Unterwelt ausfindig machen und einige Regeln brechen, bloß um dann zu entdecken, dass der Abstieg in die Hölle leichter ist als die Rückkehr.
„Leichtigkeit und Ruhe. Sie waren kostbar. Vergänglich.“
Jetzt im zweiten Band sind Alex und Oculus Dawes, die Lethe-Aktivitäten verwaltet und als Forschungsassistentin arbeitet, auf der Suche nach einem Weg, um Darlington zu finden und ihn aus der Hölle zu befreien. Die Figuren trotzen dabei allerlei Widerständen und stellen ein Team aus vier Personen zusammen, die eine Sache gemeinsam haben (no spoilers!). Doch es geschehen noch einige Dinge mehr in New Haven, wobei der Fokus definitiv auf den Abstieg in die Hölle gelegt ist. Alex hat im ersten Teil des Buches keine Zeit zum Denken. Sie jagt einer Spur nach der anderen hinterher und auch die Leser*innen bekommen keine stillen Momente, in denen das gerade passierte verarbeitet wird. Man fühlt sich wie in einem Sog. Galaxy geht ihren Tätigkeiten als Vergil/Lethes Hand nach, besucht ihre Uni-Kurse und wird auch noch von ihrer Vergangenheit eingeholt. Vergangenheit und Gegenwart treffen aufeinander, Universitätsangehörige sterben und nur Stern und Detective Turner vermuten mehr dahinter, als es den Anschein hat.
„Man muss entscheiden, für wen man bereit ist, in den Krieg zu ziehen, und auf wen man sich rückhaltlos verlässt. Mehr gab es in dieser Welt nicht. Keine Helden oder Bösewichte. Nur die Menschen, für die du dich in die Brandung stürzt, und diejenigen, die du ertrinken lässt.“
Neue übernatürliche Wesen wie Dämonen und Vampire kommen in diesem Band zu den Geistern hinzu. Die persönlichen Hintergründe von Alex und Darlington werden weiter ausgearbeitet, wobei die Lesenden ebenfalls Einblicke in die Köpfe von Nebencharakteren bekommen. Alex‘ Charaktersicht ist hierbei abwechslungsreich. Nicht für jeden geeignet, bietet diese dennoch realistische Eindrücke und grauenhafte Erinnerungen, die Teil ihres vorherigen Lebens waren, sie immer noch prägen und ihr immer wieder eine Welt außerhalb von vorgetäuschter Schönheit und Scheinheiligkeit vorhalten. Manche Textpassagen sind nicht angenehm zu lesen und die detaillierte Schreibweise Bardugos erzeugt bei den Lesenden eine Welt im Kopf, die voller Dunkelheit, Obszönitäten und Unruhe steckt. Das Teambuilding rund um die zuerst kalt erscheinende Hauptfigur ist ein wichtiger Aspekt für deren Charakterentwicklung, da Alex ihre selbst errichteten Mauern nach und nach abbaut und sich in diesem Zusammenhang eine auserwählte Familie findet.
Wer die Hölle kennt hält die Leser*innen an einem seidenen Faden, da es immer wieder spannende Einschnitte im Buch gibt, die aus der sonst so angetriebenen Stimmung hervorstechen. Eben jene Dynamik, ohne Gedankenpause trotz langatmiger Stellen, führt zu einem intensiven, aber auch anstrengenden Leseerlebnis. Band zwei schließt dennoch Knotenpunkte der Handlung ab, wobei Stoff für einen weiteren Teil definitiv vorhanden ist und dieser durch das Ende sowie unaufgelöste Charakterverstrickungen angeteasert wurde.
Mors vincit omnia. Der Tod besiegt alles.
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Wahlspruch von Haus Lethe
von Paula Heidenfelder
Leigh Bardugo
Wer die Hölle kennt
Aus dem amerikanischen Englisch von Lina Robertz, Silvia Kinkel, Constanze Wehnes und Heike Holtsch
Knaur 2023
576 Seiten
19,00 Euro