Wenn der Papierpalast zusammenbricht…
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Content Warning/Inhaltswarnung: Kindesmissbrauch, sexuelle Gewalt, Tod, Vergewaltigung
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Elle Bishop lebt ein beschauliches Leben mit ihrem Ehemann Peter und ihren drei Kindern – nur im Sommer kehrt die Familie in den Papierpalast, dem Sommerhaus der Familie Bishop, zurück. Mit dem in die Jahre gekommenen Ferienhaus verbindet Elle ihre schönsten, aber auch schrecklichsten Kindheitserinnerungen. Nur ihr Jugendfreund Jonas weiß, welcher Schrecken einst in jenem Sommer passierte – ein Geheimnis, das die Beiden seit ihrer Jugend bis ins Erwachsenalter mit sich tragen und welches sie durch alle Zeiten hinweg miteinander verbindet. Der Papierpalast von Miranda Cowley Heller erzählt in drei Teilen, durch wechselnde Perspektiven von Elle, Jonas und Peter, die Geschichte des Papierpalasts und die Verwobenheit von Traumata, menschlichen Abgründen und Geheimnissen in Elles Familie. Schnell wird den Leser*innen klar, dass hinter den Gemäuern des Ferienhaus Erinnerungen verborgen sind, die besser nicht an die Oberfläche gelangen sollten. Eine aufkeimende Affäre zwischen Elle und Jonas, in welche die Leser*innen bereits zu Beginn unvermittelt hineingeworfen werden, lässt diese zunächst ratlos zurück und entwickelt sich nach und nach zu einem vollständigen Puzzle der einzelnen Fragmente, die weit in die Familiengeschichte zurückgehen.
„Wissen kann Macht sein, aber auch Gift“
Als Leser*in bemerkt man schnell, dass den Papierpalast eine gewisse Schwere umgibt und sich eine Unheimlichkeit über ihn wie ein Schleier legt. Die Erinnerungen von Elle balancieren immer zwischen nostalgischen Kindheitserinnerungen eines unbeschwerten Sommers und Erinnerungen, welche von Schmerz und Trauer geprägt sind. Schnell wird klar, dass schreckliche Ereignisse innerhalb der Familie Bishop das Unheil förderten und Kapitel für Kapitel treiben diese an die Oberfläche. Miranda Cowley Heller gelingt hier eine generationenübergreifende Geschichte, welche verschiedene Schicksale miteinander verwebt, dabei aber immer die Protagonistin Elle in den Fokus setzt. Zunächst fand ich es als Leserin etwas schwierig, mich auf die unterschiedlichen Zeitebenen zu konzentrieren, da am Anfang auch die Geschichte von Elles Mutter angerissen wird. Nachdem ich mich aber an die Zeitsprünge gewöhnt hatte, fand ich das Zusammenspiel aus den unterschiedlichen Erzählsträngen sehr gelungen. Diese konnten auch das Ausmaß der Handlungen, welches als Reaktion folgte, in seiner Gesamtheit gut darstellen. Immer wieder wird man vor Fragen nach der Schuld und der damit verbundenen Vergebung gestellt. Was ist richtig im Angesicht des Ungreifbaren? Wie kann vergeben werden, wenn etwas Schreckliches passiert? Ist dies überhaupt möglich? Der Papierpalast ist zwar ein schmerzhaftes Leseerlebnis, entwickelt aber auch schnell eine Sogwirkung, welche die Geschichte bis zur letzten Seite spannend macht.
von Karina Hein
Miranda Cowley Heller
Der Papierpalast
Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel
Ullstein 2022
448 Seiten
23,99 Euro