Three Children
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Nachdem in der Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 1 der Fokus vor allem darauf lag, die Welt und Shinji vorzustellen, stürzt sich der zweite Doppelband auf die beiden Pilotinnen Rei Ayanami und Asuka Langley Sōryū. Dabei glänzt Rei in der ersten Hälfte. Der Manga beleuchtet dort vor allem ihre seltsame Beziehung zu Shinjis Vater Gendo. Dieser ist sehr kalt und emotionslos im Umgang mit seinem Sohn, zeigt dafür aber eine sichtbare Wärme gegenüber Rei. Diese geht sogar so weit, dass er bei einem fehlgeschlagenen EVA-Test panisch Rei zu Hilfe eilt und dabei glühend heißes Metall aufstemmt. Was genau Gendo an Rei so fasziniert, ist zu diesem Zeitpunkt nur schwer nachvollziehbar. Sie zeigt fast keine Emotionen, versteht menschliche Konventionen nicht, aber zeigt gleichzeitig einen auffälligen Instinkt, Shinji zu beschützen. Gleichzeitig ist auch Shinji verwirrt darüber, wie sehr Rei seine Gedanken bestimmt, ein perfektes Setup für die ödipalen Themen, die spätere Volumes dominieren werden.
Made in Germany
Der exakte Gegenpol zu Rei ist die deutsche Pilotin Asuka, die in der zweiten Hälfte des Werks als Second Children zur Gruppe stößt. Sie ist sehr aufbrausend, sich ihrer eigenen Sexualität bewusst, extrem intelligent und äußerst talentiert im Cockpit ihrer EVA-Einheit. Genauso wie Shinji kaum die harte Schale von Rei durchdringen kann, ist es für ihn sehr schwer, mit der selbstsicheren Asuka zurechtzukommen. Auch auf dem Schlachtfeld läuft es mit ihr überhaupt nicht, denn Shinji und sie kassieren eine böse Schlappe beim ersten gemeinsamen Kampf gegen einen Engel. Aber können Tanzstunden wirklich die Lösung der Probleme der beiden sein?
Schönheit am Ende der Welt
Was bei dem zweiten Doppelband besonders heraussticht, ist die Kunst. Sadamato ist sich offensichtlich bewusst, dass er beim Übertrag von visuellem Medium auf Manga einen anderen Fokus legen muss, und das gelingt ihm hier hervorragend. Die Dynamik der Kämpfe bleibt erhalten, besonders die Wucht, mit denen sich die EVA-Einheiten bewegen, durch die Luft geschleudert werden und auf die Engel einprügeln, wirkt in Druckform großartig. Auch die Engel sehen toll aus, denn bei denen muss Sadamoto nichts ändern – besonders Ramiel in der ersten Hälfte ist Zucker. Ein schwebender Oktaeder, der keinerlei Lebenszeichen von sich gibt und auf alles feuert, das sich ihm nähert, gibt mir einfach ein wohliges Gefühl beim Betrachten. Wunderbar creepy. Aber ein Panel hat es mir ganz besonders angetan und auch viele Tage nach dem Lesen ist mir das Bild im Kopf hängen geblieben. Für die entscheidende Mission in der ersten Hälfte wird für Rei und Shinji der gesamte Strom Japans abgeschaltet. Die beiden sitzen unmittelbar vor dem Start auf den Zugangsbrücken ihrer EVA-Einheiten mit einer düsteren Bergkette am Horizont. Die einzige Lichtquelle sind zwei kleine Lampen auf den beiden Brücken. Es ist atemberaubend schön. Sadamoto hat ein Gespür für Paneling, mit dem er anderen Zeichnern in Nichts nachsteht und in diesem zweiten Band lässt er an Stellen wie dem oberen Beispiel so richtig die Muskeln spielen. Ein Muss für Fans von Neon Genesis Evangelion.
von Felix Ritzmann
Yoshiyuki Sadamoto
Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 2
Aus dem Japanischen von Antje Bockel
Carlsen 2023
344 Seiten
18,00 Euro
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