„Jede Bewegung ein Wort“
Geschichten können auf viele verschiedene Arten erzählt werden. Und nicht immer sind dazu Worte nötig. Wie treffend und mitreißend eine Geschichte allein durch Bewegung erzählt werden kann, zeigt die Uraufführung von „The Terranauts“, die am 11. Juni am Theater Hof mit großem Erfolg ihre Premiere feierte.
Wer nach einem Ballett im klassischen Stil sucht, ist hier fehl am Platz. Denn die Inszenierung von Lilit Hakobyan situiert sich vollkommen zeitgenössisch mit Elementen aus vielen verschiedenen Tanzrichtungen. Die Bewegung erzählt die Geschichte und zeigt sich dabei in einer Vielfalt und Intensität, die die Zuschauer*innen regelrecht an ihre Sitze fesselt. Gleichzeitig möchte man sich am liebsten mitbewegen und teilhaben an dem Gleichklang aus Rhythmik und körperlichem Ausdruck.
Ein Sozialexperiment in der Choreografie des Lebens
Die Handlung, auf der das Stück basiert, folgt T. C. Boyles Roman „The Terranauts“ aus dem Jahr 2016. Zum besseren Verständnis erzählt Dramaturg Philipp Brammer vor Beginn kurz die Handlung der neun Szenen nach: Acht Menschen leben in einer der Erde nachempfundenen, abgeschlossenen Sphäre. Dieses Projekt mit dem Namen Ecospehre 2 soll zwei Jahre dauern und dient der Erforschung bemannter Raumstationen. Während der Zeit leben und arbeiten die ausgewählten Menschen, vier Männer und vier Frauen, zusammen und dürfen den geschlossenen Raum nicht verlassen. Schnell wird klar, dass es dabei früher oder später zu Komplikationen kommen muss… Liebe, Eifersucht und der Kontrast des Mit- und Gegeneinanders bilden die großen thematischen Säulen des Stücks.
Interessanterweise braucht man als Zuschauer*in das Wortgerüst, das man in die Hand bekommen hat, kaum. Durch die schlichte schwarze Ausstattung der Studiobühne, die nur durch einzelne lichtimpulsgebende Neonröhren beleuchtet wird, kann sich die Magie der sich drehenden und windenden Körper entfalten. Auf mehr als einer Ebene wird klar, dass die Bewegung keiner Worte bedarf. Unterstützung findet sie in der Musik, die eine Unterteilung der einzelnen szenischen Kapitel vornimmt und der Aufführung damit eine klare Struktur verleiht. Rhythmik und Klangfarbe ändern sich passend zu den Solo- und Gruppenauftritten der Tänzer*innen und verleihen jedem*jeder einzelnen von ihnen eine unverwechselbare Charakteristik.
Das Ineinanderfließen findet sich nicht nur in Klang und Rhythmus. Auch der Ausdruck der Emotionen geht ineinander über. Besonders beeindruckend ist hier, wie gut das soziale Miteinander der Gruppe durch die Bewegung in Szene gesetzt wird. Eigendynamik und Uniformität reichen sich die Hand. So wird jeder individuelle Charakter und sein Platz im sozialen Umfeld deutlich. Die Zuschauer*innen bekommen die Möglichkeit, die einzelnen Charaktere kennenzulernen und werden gleichzeitig in die Verwobenheit der Gruppe hineingezogen. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die hohe tänzerische Leistung des jungen Ensembles (bestehend aus: Tania Angelovski, Denis Mehmeti, Sara Runfola, Ali San Uzer, Dension Silva, Naila Fiol, Filippo Italiano, Isabella Bartolini, David Santos Ollero, Irene Garcia Torres, Kana Imagawa und Efim Kirbitov), die man auch als Laie deutlich sehen kann. Die Begeisterung des Publikums dieser beeindruckenden Performance zeigte sich am Ende in einem mehr als verdienten, minutenlangen Applaus und Standing Ovations.
Mein persönliches Fazit: „The Terranauts” ist ein Stück, das das Publikum mit allen Sinnen anspricht und in eine Welt entführt, in der man keine Worte braucht, um sich zu verständigen.
Die nächsten Vorstellungen sind am 17.06., 01.07., 02.07., 09.07. und 16.07.2023.
von Lea Griesbach