Die Unmöglichkeit der Adaption
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Das literarische Erbe von H.P. Lovecraft, insbesondere der fiktive Mythos um Cthulhu, fasziniert mich. Schon seit dem Moment, an dem ich vielleicht ein wenig zu früh in der Bücherei in meiner Heimat Schatten über Innsmouth in die Hände bekommen habe. Die unerträgliche Hoffnungslosigkeit in Lovecrafts Prosa und die ihn offensichtlich zerfressende Angst vor dem Fremden, die zwischen den Zeilen spürbar wird, machen seine Geschichten zu etwas ganz Besonderem.
Umsetzungen von Lovecraft müssen deshalb aber immer eine gigantische Hürde überwinden: Wie kann es gelingen, seine äußerst blumige Schreibe zu visualisieren? Geht das überhaupt? Wenn Danforth in Berge des Wahnsinns durch einen kurzen Blick auf etwas in Wahnsinn verfällt, kann man das dann zeichnen? Natürlich nicht. Die eigene Vorstellung ist immer mächtiger als alles, was Künstler*innen schaffen können.
Rohe Atmosphäre
Mit diesem Problem hat selbstverständlich auch Cthulhus Ruf von Gou Tanabe zu kämpfen. Durch das Cover mit dem riesigen Cthulhu wird natürlich direkt klar, dass Tanabe sich absolut nicht davor scheut, diesen zu zeigen. Seine Interpretation ist angemessen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn der Große Alte zu keinem Zeitpunkt sichtbar gewesen wäre, aber es verkauft sich eben. Was Tanabe dafür perfekt trifft, ist die Atmosphäre: Cthulhus Ruf ist ein Slowburner und lässt sich Zeit, bis der Wahnsinn beginnt, dafür ist es aber auch eine der am cleversten konstruierten Lovecraft-Geschichten. Über drei Kapitel hinweg stellt Francis Thurston, der Enkel eines kürzlich verstorbenen Sprachforschers, Nachforschungen zu Dokumenten an, die er in dessen Nachlass gefunden hat. Zusammen mit Francis werden den Leser*innen so Schritt für Schritt Informationen über Ereignisse gegeben, die mehr als 60 Jahre überspannen. Bis man dann beim verstörenden Ende ankommt.
Dabei trifft die Kunst perfekt den Stil, den ich von Lovecraft-Umsetzungen sehen will. Alles ist dreckig, nass und dunkel, der Gothic-Look der städtischen Gegenden ist wunderschön und alleine durch die versunkene Stadt R’lyeh lohnt sich der Band schon. Tanabe hat sich hier für eine algenbewucherte Vulkanglaswüste entschieden, deren Pfade sich wie in einem M.C. Escher-Gemälde sinnlos überkreuzen und deren Säulen wie Stalagmiten aus der Erde stechen. Das Tor ins Herz der Stadt ist die perfekte Klimax für die Geschichte. Cthulhus Ruf ist nicht perfekt, weder das Original noch Tanabes Adaption, aber für eine Umsetzung mit visuellem Element macht der Manga seinen Job sehr gut. Wer auf Horror steht, sollte hier auf jeden Fall einen Blick reinwerfen und Lovecraft-Fans sowieso.
von Felix Ritzmann
Gou Tanabe
H.P. Lovecrafts Cthulhus Ruf
Aus dem Japanischen von Jens Ossa
Carlsen 2021
280 Seiten
18,00 Euro