Eine Vampirstory mit Biss
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CW: Blut, Gewalt, Leichenteile
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Bei einem im Gothic Genre so bekannten Monster wie dem Vampir kommt es immer wieder zu Neuerzählungen, in denen dieses unheimliche Wesen als Darstellung einer Metapher genutzt wird. Auch das frisch aus dem Französischem übersetzte Vampyria – Der Hof der Finsternis von Victor Dixen fällt in diese Kategorie.
Wenn man es ganz genau nimmt, befinden wir uns während des Lesens des Buches im 21. Jahrhundert. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn hier ist Ludwig XIV. nicht 1715 verstorben, sondern nach einer Transmutation als Ludwig der Unwandelbare, der erste Vampir erwacht. Seit mittlerweile fast dreihundert Jahren herrscht er mit eiserner Faust über Frankreich und die Magna Vampyria, deren Einfluss sich über die ganze Welt erstreckt.
In diesem ewig währenden Absolutismus entfaltet sich die Metapher des Adels als direkte und indirekte Blutsauger. Denn die bürgerlichen Stände werden nicht nur von den menschlichen Blaublütern ausgenutzt. Um den Durst des vampirischen Hochadels zu stillen, wird auch buchstäblich das Blut jeder Person des vierten Standes in Form eines monatlichen Aderlasses eingefordert.
In solch einer Welt lebt Jeanne Froidelac, Bücherwurm und Tochter eines Apothekers im hintersten Winkel einer der abgelegensten Provinzen Frankreichs. Nachdem es ihr gelingt, sich als Adelige auszugeben, kennt sie kein anderes Ziel, als Rache an den Vampiren zu üben, die sie einem normalen und freien Leben beraubt haben. Menschlicher Anstand hat in ihrem Plan keinen Platz, was nicht gerade dazu beiträgt, sie als Figur sympathischer zu machen. Anstatt im Schloss Versailles landet sie dann aber in der Schule des Großen Marstalls, in der die adelige Elite für ihr Debut am Hof ausgebildet wird und wo jedes Jahr ein Junge und ein Mädchen für die Leibgarde des Königs ausgewählt werden.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Vampire in Versailles: Da stellt man sich ausufernde Festlichkeiten vor, maßlose Verschwendung und historische Dekadenz im neuen vampirischen Gewand. Leider wird man diesbezüglich etwas enttäuscht. Die Gemäuer des Palastes werden nicht häufig betreten und man erfährt eher indirekt etwas über diesen eigentlich sehr interessant von Dixen charakterisierten Ort.
Dafür gelingt es der düsteren Geschichte aber, abgesehen von einer plötzlich auftauchenden und verschwindenden exzessiven Bezugnahme auf griechische Mythologie, bekannte historische Begebenheiten umzuformen. Ist man mit französischer Geschichte vertraut, kann man sich unter anderem an der Namensnennung des echten Kammerdieners und des Architekten des Sonnenkönigs erfreuen. Auch die Neuinterpretation der Ständegesellschaft wie auch der in der Antike propagierten Säftelehre lässt schmunzeln.
In Vampyria – Der Hof der Finsternis gelingt Victor Dixen dennoch das, was vom Titel versprochen wird. Denn in diesem ersten Band einer Trilogie werden wir in einen düsteren und verrohten Ort eingeführt. Dabei ist zwar nicht alles gelungen, aber die Geschichte bringt doch Leben in das abgestandene Dasein des Vampir-Genres.
von Victoria Dimeo
Victor Dixen
Vampyria. Der Hof der Finsternis
Aus dem Französischen von Bernd Stratthaus
Blanvalet 2023
528 Seiten
18,00 Euro