„Was ist unserem Herzen die Welt ohne Liebe“
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Content-Warnung: Depression, Suizid, Vorführung enthält Stroboskopeffekte
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Es ist 1774 und Johann Wolfgang Goethes neuester Roman Die Leiden des jungen Werther wird publiziert. Ein Briefroman, der eine ganze Epoche prägt und bis heute noch alle Leser*innen in einen wilden Sturm von Emotionen mitreißt. So auch das Theaterstück zum Roman, dessen Premiere man im ETA Hoffmann Theater am 10. November 2023 besuchen konnte. Unter der kreativen Leitung von Moritz Nikolaus Koch verleiht uns Marek Egert einen eindrücklichen Einblick in Werthers Empfinden.
Werther langweilt sich. Er ist neu in Wahlheim und obwohl er beliebt in der Stadt ist, bevorzugt er lange Spaziergänge in der Natur, anstatt sich mit den Bewohner*innen auseinanderzusetzen. Eines Abends lernt er im Zuge eines Balles jedoch Charlotte „Lotte“ Buff kennen und verliebt sich hoffnungslos in sie, obwohl er weiß, dass diese schon an Albert vergeben ist. Er verbringt den restlichen Sommer im Unreinen mit sich selbst und seinem ganzen Umfeld und steigert sich immer mehr in seine Liebe zu Lotte hinein, bis er einsieht, dass diese ihm nichts weiter als Trauer und Chaos beschert. Auf den Ratschlag seines Freundes Wilhelm hin, ändert Werther seinen sozialen Kreis und beschafft sich einen Job. Lotte kann er jedoch nicht hinter sich lassen und auch seine neuen Bekanntschaften verstoßen ihn nach einiger Zeit. Er fällt immer mehr in eine existenzielle Krise, bis er zum Entschluss kommt, dem Allen ein Ende zu setzen.
Die Version des ETA Hoffmann Theaters versetzt Werther in den Kontext unserer Zeit und der digitalen Welt und zeigt erfolgreich, wie relevant Goethes Briefroman noch immer ist. Hier wird Werther als vapender und ravender junger Mann dargestellt, der sich seinem Platz in der Welt noch nicht so sicher ist, ein Charakter, den man durch seinen Humor und seine Lebenssituation schon liebenswürdig findet. Unterstützt wird diese neue Interpretation von Goethes Werther noch dadurch, dass die Briefe hier in kurzen Videoformaten, wie kleine Vlogs, live aufgenommen und auf einer großen Leinwand angezeigt werden. Emotionen werden sowohl durch verschiedene Animationen als auch durch einen Mix von verschiedensten Musikstücken, überwiegend französischem Indie-Pop aber auch bekannten, traurigen Pop-Songs untermalt. Marek Egert verkörpert hier nur zu gut seinen Charakter und nimmt das Publikum mit durch einen Sturm von Emotionen.
Gerade am Anfang wird viel mitgelacht, man fühlt sich Werther nah, so als würde er einem selbst die Videobotschaften senden. Während das Stück fortschreitet, tut dies auch Werthers Besessenheit von Charlotte und man erlebt, wie er immer weiter gar dem Wahnsinn verfällt. Allzu sehr kann man dies doch nicht mitfühlen, da das Tempo des Stückes auch immer mehr zunimmt.
„Schöpfe Trost aus seinem Leiden, und lass den Werther deinen Freund sein“
Alles in allem kann man sich auf eine Aufführung freuen, die noch nach dem Ende zum Denken anstößt und Zuschauer*innen auf eine wilde Achterbahn von Emotionen mitnimmt. Dadurch, dass Werther hier in unsere Zeit transportiert wird, wird es wohl kaum einen geben, der sich nicht auch ein bisschen selbst in Werther wiederfindet und nicht mitgenommen fühlt von dieser tragischen Lebens- und Liebesgeschichte.
Die nächsten Aufführungen finden am 16.11., 17.11., 18.11., dem 24.11. und 25.11. sowie dem 20.12., 21.12., 22.12. und 29.12. jeweils um 20:00 Uhr statt.
von Jessica Weber
© Martin Kaufhold
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