Rückkehr in die Tintenwelt
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Spoiler-Warnung: Dies ist der vierte Band der Tintenreihe. Die Rezension enthält Spoiler zu Tintenherz, Tintenblut und Tintentod.
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Nach 16 Jahren einen neuen Band aufzuschlagen, ist ein riskantes Unternehmen. Plötzlich wird die geliebte Geschichte aus der Kindheit weitererzählt und man weiß nicht, was einen erwartet. Doch bereits die ersten Seiten von Cornelia Funkes Die Farbe der Rache haben mich wieder in den Bann der Tintenwelt gezogen. Das Lesen der ersten Namen von vertrauten Charakteren weckt ein Gefühl, als würde man alte Freunde nach sehr langer Zeit wiedersehen. Die Nostalgie verwoben mit der Neugierde, was die Fortsetzung bringt, macht das Buch zu einem Leseerlebnis, das nicht im Schatten der drei Vorgänger steht, auch wenn es nicht ganz mithalten kann.
„Es sind die Bilder, die uns glauben und fühlen lassen“
In der ursprünglichen Trilogie, die nun überraschend um einen vierten Teil erweitert wurde, stand immer die Kraft des Wortes im Mittelpunkt. Mo und seine Tochter Meggie besitzen die Gabe, mit ihren Stimmen Geschichten zum Leben zu erwecken. Durch lautes Vorlesen können sie Figuren aus Büchern heraus oder auch hineinlesen. So landete Staubfinger, eine Figur des fiktiven Buches „Tintenherz“, einst in Mos und Meggies Welt, wo er zehn Jahre verbrachte und verzweifelt versuchte, zurück in die Tintenwelt zu gelangen. Nach seiner Rückkehr dorthin mussten er, sein Lehrling Farid, Meggie, Mo und dessen Frau Resa zusammen die Tintenwelt gegen alte und neue Feinde verteidigen.
Seit diesen Ereignissen sind fünf unbeschwerte, glückliche Jahre ins Land gezogen. Doch ein alter Feind, Orpheus, der in Tintentod entkommen ist, schwört nun Rache an Staubfinger. Er macht Staubfinger für sein eigenes Unglück verantwortlich und will ihm nun im Gegenzug alle nehmen, die er liebt. Doch diesmal nicht mithilfe der Macht der Worte, sondern der Kraft der Bilder. Staubfinger muss sich auf eine lange Reise begeben, um seine Liebsten zu retten und bereut nun bitterlich, sie nie eingeweiht zu haben, was ihm in den zehn Jahren, die er in einer anderen Welt verbracht hat, wirklich passiert ist. Er sucht eine Antwort auf die Frage, was mächtiger ist, das Wort oder das Bild. Die Autorin sagt, die Antwort hätte sie selbst überrascht.
Auf neuen Spuren
Die Fortsetzung stellt die richtigen Charaktere ins Zentrum des Geschehens. Die Kombination von Staubfinger als Protagonist, seit jeher der Lieblingscharakter vieler Leser*innen, und seinem besten Freund, dem Schwarzen Prinzen, erlaubt es den Lesenden, endlich mehr über die Hintergründe früherer Nebenfiguren zu erfahren. Die Freundschaft der beiden Männer, die auf unglaublich schöne und zärtliche Art gezeichnet wird, wie es selten der Fall ist, wird zum größten Gewinn des Buches. Beide Figuren behalten ihren Tiefgang und dieses Mal werden auch Rassismuserfahrungen thematisiert, die zuvor in der dominierend weißen und patriarchalen Tintenwelt keinen Platz fanden. Auch die Inklusion von queeren Charakteren steht im Gegensatz zur ursprünglichen Reihe und kann positiv hervorgehoben werden (auch wenn Cornelia Funke vor queeren Figuren in Kinderbüchern früher schon nicht zurückgeschreckt ist, siehe Die Wilden Hühner).
Staubfingers Melancholie, hin und her gerissen zwischen der Liebe zu seiner Familie und seiner ständigen Rastlosigkeit, bleibt erhalten, ebenso die Balance seines Mutes und der eigenen Feigheit. Das Buch bildet eine Ergänzung zur ursprünglichen Trilogie, die die Leser*innen auf eine neue Reise in die Tintenwelt abholt und dank Funkes Schreibstils das Herz mit der gleichen Sehnsucht nach fantastischen Welten füllt. Die Tiefe des Erzählstrangs leidet im Vergleich zu den drei Vorgängern allerdings unter der deutlich kürzeren Länge des Romans. Gibt es Hoffnung auf weitere Fortsetzungen? Wer weiß. Die Tür zur Tintenwelt ist auf jeden Fall wieder aufgestoßen.
von Antonia Rick
Cornelia Funke
Die Farbe der Rache
Dressler 2023
352 Seiten
23,00 Euro