„Zu was bin ich nütze, wofür ist mein Leben gut?“
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Nach dem ersten Teil des Stücks Das Vermächtnis (The Inheritance) von Matthew Lopez, in der deutschen Übersetzung von Hannes Becker, folgt nun endlich der zweite Teil. Wenn man seit der Premiere des ersten Teils im Oktober jede Woche an die Geschichte und ihre Charaktere denken musste und dem zweiten Teil mit so viel Vorfreude entgegenfieberte und dann die Fortsetzung nicht nur mithalten konnte, sondern man noch begeisterter aus der Aufführung des zweiten Teils herausgeht, wurde man reicht beschenkt. All das macht das ETA Hoffmann Theater mit dem Ensemble aus Daniel Senuik, Marek Egert, Leon Tölle, Tim Czerwonatis, Jeremias Beckford, Eric Wehlan, Pit Prager, Florian Walter, Stephan Ullrich und Barbara Wurster in Das Vermächtnis (The Inheritance) – Teil 2 möglich. Hierzu ergänzend die Theaterkritik zum ersten Teil.
Das Stück beginnt mit dem Monolog der Mutter einer der an AIDS erkrankten Männer, die in Walters Haus Mitgefühl und Fürsorge in den letzten Tagen vor ihrem Tod erfuhren. Damit wird das Publikum direkt wieder in die Erzählung des ersten Teils geführt. Sobald dann die Schauspielenden als die bekannten Charaktere der Freundesgruppe um Eric Glass die Bühne betreten, fühlt man sich als Zuschauer*in regelrecht in deren Mitte zurück empfangen. Man freut sich, alle wiederzusehen und ist aufs Äußerste gespannt, wohin sich die Geschichte entwickelt.
Die verschiedenen Erzählstränge des ersten Teils entfalten in der Fortsetzung noch intensivere Dynamiken zwischen den Figuren und ihren Motiven. Eric entschließt sich Henry zu heiraten, wodurch seine Freundschaft mit Jasper auf die Probe gestellt wird, da dieser Henry für seine Wahlkampfspenden für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten verurteilt. Eric selbst hat mit dem Beziehungsentwurf der neuen Ehe zu kämpfen, da er die Leidenschaft, wie er sie in seiner Beziehung mit Toby hatte, vermisst. Als er den Grund und die Folge für Henrys sexuelle Zurückhaltung erfährt, steht er vor moralischen Zerwürfnissen und wird mit der Frage nach seiner wahrhaftigen Motivation für die Heirat konfrontiert. Dabei schwingt immer mit, wie Eric, den alle außer ihm selbst als den Helden und Engel, der er ist, sehen, versucht seine Bestimmung zu finden und wie dies ihm am Ende dieses Stücks auch endlich gelingt.
„Welche Verantwortung gibt es zwischen schwulen Männern verschiedener Generationen?“
Lopez stellt Fragen der Verantwortung queerer Personen. Wie kann und darf jemand, der Teil einer diskriminierten Gruppe ist, seinen Unterdrücker unterstützen? Konservative bzw. republikanische queere Personen existieren, aber wie lässt sich das mit ihrer Identität vereinbaren? Läuft das zwangsläufig auf „nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ hinaus, oder darf man andere Interessen der eigenen Identität überstellen? Jasper und Henry tragen diesen Konflikt eindringlich anhand dessen aus, ob die Arzneimittelbehörde in der Bekämpfung von HIV durch Aussicht auf Profit oder Zwang zum Handeln durch Aktivist*innen aktiv wurde.
Weiter kommt durch Tristan zur Sprache, wie sich mehrfach diskriminierte Personen gezwungen fühlen, ihre Heimat zu verlassen, da diese für sie zur Gefahr werden könnte. Tristan sieht für sich als schwulen, HIV-positiven, schwarzen Mann im Amerika unter Trump keine Zukunft und nimmt eine Stelle in Kanada an. Inwiefern können ihm hier Vorwürfe gemacht werden, was mit den Personen ist, denen nicht dieselben Ressourcen wie ihm als Arzt zur Verfügung stehen und für die ein Wegziehen aus Amerika keine Option ist? Liegt es nicht in der allgemeinen Verantwortung, Amerika zu einem besseren Ort für alle zu machen? – „Dieses Land hat Menschen wie mich nicht verdient. Amerika ist es nicht wert gerettet zu werden, ich schon.“
„Ich hab’ mit 14 gelernt, wie man fickt, aber niemand hat mir gezeigt, wie man liebt.“
Auch auf Toby, gebeutelt von seinem konkurrierenden Selbstbild und -wert, trifft das Publikum wieder. Seine Irrungen und Wirrungen gehen nahe und stehen für so viele junge queere Personen, die sich orientierungs- und hilflos fühlen und in ihrem eigenen Schmerz andere verletzen. So wird in der Beziehung Tobys zu Leo, einem Sexarbeiter, der Adam, seinem Schwarm aus dem ersten Teil, besonders ähnlichsieht, gewaltvoll deutlich, dass Lust und Liebe nicht dasselbe ist. Darüber hinaus wird die Realität von Chemsex und einem gelockerten Umgang mit ungeschütztem Sex, seitdem es PrEP gibt, sowie deren Auswirkungen auf das schwule Leben an der Figur Leos veranschaulicht.
„Es gibt keine schwulen Männer in meinem Alter… nicht annähernd genug.“
Durch das gesamte Stück zieht sich Henrys ambivalente Auseinandersetzung mit der Frage nach Verantwortung und dem bitteren Vermächtnis der AIDS-Epidemie. Von „Ich habe mich dazu entschieden die Tür zur Vergangenheit zuzuschlagen. Das ist mein gutes Recht, als einer, der dabei gewesen ist, als einer, der überlebt hat.“ bis hin zu „Du wirst das tun, was sie nicht konnten. Du wirst leben.“ darf man Henry auf seiner Reise begleiten, die so bedeutungsvoll erzählt wird, dass man auch in diesem Teil zu Tränen gerührt wird.
ETA Hoffman Theater at its best
Bereits im ersten Teil und nun mit Nachdruck in der Fortsetzung stellt das Ensemble des ETA Hoffmann Theaters unter der Regie von Sibylle Broll-Pape unter Beweis, zu welchen Glanzleistungen sie fähig sind. Das Bühnenbild war in seiner Vielseitigkeit trotzdem effizient. Besonders die Szene einer durchfeierten Nacht auf Fire Island und das Lipsync-Intermezzo zu Lady Gagas Born This Way einer Drag Queen verdient ein besonderes Lob an Trixy Royeck, die für Bühne, Kostüme und Video zuständig war. Falls es aus diesem Loblied noch nicht deutlich genug geworden sein sollte – Das Vermächtnis (The Inheritance) von Matthew Lopez ist aus tiefstem Herzen zu empfehlen!
Die nächsten Aufführungen finden am 31. Januar sowie 02., 03., 15., 17. Februar und 02. März statt. Beginn ist jeweils um 19:30 Uhr.
von Michaela Minder