Leben auf Probe
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Wann fängt es eigentlich an? Bin ich schon dran? Zählt das Warten schon zur Performance?
Das Warten zählt, in Martin Heckmanns‘ Theaterstück „Es wird einmal“. Drei Anwärter*innen auf eine nicht näher definierte Rolle wollen beim berühmten Regisseur Obermann vorsprechen – und setzen sich dabei intensiv mit sich selbst und den kleinen und großen Fragen des Lebens auseinander. „Es wird einmal“ feierte am 24.02.2024 im Markgrafentheater in Erlangen Premiere.
Zu Beginn herrscht heillose Verwirrung. Vier Schauspielende treffen nach und nach in einem klassenzimmerartigen Raum ein, der das Bühnenbild für das gesamte Stück darstellt. Alle scheinen auf unterschiedliche Einladungen hin mit Obermann verabredet zu sein, einem sagenumwobenen Regisseur. Und ist die vierte Person überhaupt eine Schauspielerin oder doch die Assistentin des Regisseurs? Nach kurzer Zeit kristallisiert sich jedenfalls heraus, dass Obermann nicht kommen wird. Die Anwesenden nehmen das Vorsprechen nach kurzer Zeit selbst in die Hand und beschließen, während des Wartens nicht mehr zu warten, sondern einfach anzufangen. Doch womit?
Erst nach einigen Szenen, die geschickt miteinander verwoben werden, wird den Zuschauenden bewusst: Das ist das Leben, so wie man es kennt. Mal heiter, mal bedrückt, mal ernst, mal richtig verrückt. Da ihnen der Rahmen nicht bekannt ist, probieren die vier einfach alle möglichen Szenarien aus, verständigen sich ohne große Worte, spielen einfach darauf los. Aber spielen sie überhaupt?
Da gibt es Spekulationen über das Finden der Wahrheit, eine Begegnung mit dem Tod (verborgen hinter einer humorvollen Maske), Gespräche über Kunst und Konsum, kurze Workshops zur ‚richtigen‘ Lebensführung, skurrile Dating-Verläufe und immer wieder Gesangseinlagen. Das Ganze ist dabei erfrischend abwechslungsreich gestaltet, sodass nie mit der nächsten Geschichte zu rechnen ist, diese sich dann aber doch harmonisch ins Gesamtbild einfügt. Das wunderbare Quartett, bestehend aus Hermann Große-Berg, Juliane Böttger, Justin Mühlenhardt und Alina Valerie Weinert, besticht durch die Verschiedenheit und Vielschichtigkeit ihrer Charaktere, die trotz der schnellen Umbrüche authentisch und sympathisch wirken. Mit der Zeit entwickelt sich trotz der spürbaren Konkurrenz eine Art Verbundenheit zwischen den vier Akteur*innen. Dass sie sich mit Respekt begegnen und einander mühelos in ihre Ideen einbinden, ist eine große Stärke der Inszenierung unter Juliane Kanns Regie.
Neue Gegebenheiten werden durch einen vierstimmigen Ruf an Obermann eingeleitet, der an Kirchengesänge erinnert – die Figuren scheinen sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass sie womöglich beobachtet werden. Und doch handeln sie, als ob sie allein wären, vertiefen sich vollständig in ihr ‚Leben auf Probe’, sodass auch die Zuschauenden sich gut hineinversetzen können und sich vielleicht sogar wiederentdecken. Die Zeit wird aus den Angeln gehoben, nie ist ganz klar, wie viel Zeit eigentlich im Stück vergeht – sind es Tage, Stunden oder doch nur wenige Minuten?
Für ihre Performance brauchen die Schauspielenden nicht viele Requisiten, nutzen aber alles, was im Raum zu finden ist. So sind ein Staubsaugerroboter, Brillen mit Plastiknasen und ein Wasserhahn, aus dem Wein fließt, kleine Highlights. Dem knallbunt gekleideten Ensemble zuzusehen macht Spaß, Ernsthaftigkeit und grandios dosierter Humor halten sich die Waage und sorgen dafür, dass das Publikum das Markgrafentheater beschwingt, aber auch an den richtigen Stellen nachdenklich verlässt.
Die Botschaft des Stücks ist nicht allzu deutlich, aber dennoch erkennbar: Das Leben läuft bereits, nicht erst später. Wie wir handeln, ist essenziell für die Entwicklungen in der Zukunft. Dass zwischen Spiel und Realität nicht mehr unterschieden werden kann, scheint genau das zu sein, was das Stück bezwecken möchte – denn wer spielt, lebt.
Also, wann fängt es an? Die Antwort lautet: genau jetzt.
Das Quartett spielt „Es wird einmal“ im Erlangener Markgrafentheater noch am 02.03., 03.03., 17.03., 18.03., 24.04. und 25.04.2024.
von Theresia Seisenberger
v.li.: Alina Valerie Weinert, Hermann Große-Berg, Juliane Böttger, Justin Mühlenhardt (© Jochen Quast)
v.li.: Juliane Böttger, Alina Valerie Weinert, Justin Mühlenhardt, Hermann Große-Berg (© Jochen Quast)
v.li.: Hermann Große-Berg, Justin Mühlenhardt, Alina Valerie Weinert, Juliane Böttger (© Jochen Quast)