„Es gibt keine Familie ohne Gewalt“
—
Evan Tepest hat für den Essayband Power Bottom zurecht viel Lob bekommen (siehe auch Rezension) und dürfte deshalb schon einigen bekannt sein. Nun folgt der erste Roman. In Schreib den Namen deiner Mutter erzählt Tepest von der Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern, von Traumata, die totgeschwiegen werden, und der Dissonanz zur Herkunftsfamilie.
Jemand anderes geworden – trotz oder aufgrund der Herkunft?
Alex bringt der Tod des Großvaters für drei Wochen vom queeren Berlin in die rheinländische, provinzielle Heimat zurück. Hier warten Konflikte mit der Mutter, der Kindheit und sich selbst, die gefährlich nahe unter der Oberfläche liegen und drohen diese zu durchbrechen.
Im Rahmen eines Beitrags für einen Sammelband, „der das Unaussprechliche zwischen [Künstlerinnen] und ihren Müttern ausdrücken“ soll, versucht sich Alex der eigenen Beziehung mit der Mutter anzunähern. Aufreibend und verletzend sind die Versuche der Begegnung und letztlich muss Alex eigene Schlüsse für sich ziehen: An welchen Beziehungen möchte man festhalten und zu welchem Preis? Inwiefern ist man bereit jemandem Verständnis entgegenzubringen, wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruht? Wie soll man sich auf einer Ebene begegnen, wenn man über all das, was passiert ist und was nicht passiert ist, nicht spricht? Muss man überhaupt darüber sprechen, um für sich Antworten zu bekommen, oder reicht ein Bewerten des Handelns aus? Tepest zeigt mit der Figur Alex, dass man in der Auseinandersetzung mit anderen auch Erkenntnisse über sich selbst erlangen und dass das gewinnbringender sein kann.
Starkes Ende mit Warmlaufen
Der knapp 200 Seiten lange Roman ist in drei Teile gegliedert und die Kapitel fast ausschließlich pro Tag, den Alex in der Heimat ist, formuliert. Der Anfang der Erzählung zieht sich, man liest viele Beschreibungen, die im Ton nüchtern sind. Doch immer wieder blitzen Kommentare oder Beobachtungen durch, die auf die tiefer liegenden Konfliktdynamiken deuten. Im letzten Drittel gewinnt die Geschichte dann an Fahrt. Es kommt zu Konfrontationen, zur persönlichen Abrechnung mit Familienmitgliedern und zum Erkennen und Einstehen für sich selbst. Subtil finden sich manche Motive aus Power Bottom im Roman wieder, dennoch ist Schreib den Namen deiner Mutter etwas ganz anderes und lässt die Lesenden gespannt zurück, wie sich Evan Tepest als Autor weiterentwickelt.
von Michaela Minder
Evan Tepest
Schreib den Namen deiner Mutter
Piper 2024
192 Seiten
22,00 Euro