Wer hat das Sagen?
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Dass Friedrich Schillers Tragödie Maria Stuart mit dem Tod der Titelfigur endet, dürfte bekannt sein. Wenn nicht aus der Lektüre im Deutschunterricht, dann vielleicht als historischer Fakt oder einfach, weil das Stück sonst nicht „Tragödie“ hieße. Philipp Arnolds Inszenierung, die am 15.03.2024 im ETA Hoffmann Theater Premiere feierte, denkt dieses Ende neu.
Maria Stuart, Königin von Schottland (Ewa Rataj) gilt als schuldig am Tod ihres Ehemannes und flieht nach England, wo sie sich den Schutz ihrer Verwandten, der protestantischen Königin Elisabeth (Alina Rank), erhofft. Doch weil diese den Anspruch der katholischen Maria auf den englischen Thron fürchtet, ordnet sie stattdessen ihre Gefangennahme an. 19 Jahre später steht Maria, nun auch beschuldigt, an Verschwörungen gegen Elisabeths Leben beteiligt zu sein, kurz vor ihrer Hinrichtung. Getroffen haben sich die beiden Königinnen in all den Jahren nie, obwohl Maria sagt: „Ihr allein, der Schwester, der Königin, der Frau kann ich mich öffnen.“ Stattdessen sind sie umgeben von Männern, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen. Der Baron von Burleigh (Daniel Seniuk) plädiert aus staatspolitischen Gründen für eine rasche Hinrichtung Marias. Der Graf von Shrewsbury (Jeremias Beckford) wiederum warnt davor, Maria in den Augen des Volkes zur Märtyrerin und Elisabeth zur Schuldigen an ihrem Tod werden zu lassen. Weniger politisch denkt der Graf von Leicester (Marek Egert); einst wollte er Elisabeth heiraten, aber er würde sich auch mit Maria abfinden – für deren Rettung er allerdings selbst keine Risiken eingehen will. Der junge Mortimer (Leon Tölle) hingegen ist fest entschlossen, Maria zu befreien, und dabei bereit, weiter zu gehen, als sie es selbst möchte. Vier Männer, vier Meinungen. Und zwei Frauen, die darum kämpfen, gehört zu werden. Können sie sich von der Geschichte, die für sie geschrieben wurde, ablösen und sich ohne Feindschaft gegenüberstehen?
Die Schauspielenden bringen die angespannten Dialoge aus Schillers Drama voller Intrigen und Rivalitäten lebendig und energisch auf die Bühne. Immer wieder eskalieren Diskussionen zu Streit, es wird sich gegenseitig unterbrochen, gespottet, geschrien. Beide Königinnen müssen in der Anwesenheit der Männer für sich einstehen, sich Gehör verschaffen, sich durchsetzen. Am Ende wird es dann ruhiger – und, nicht mehr Schillers Text folgend, eher abstrakt. Aber dabei nicht weniger spannend.
„Die Lords gehen ab.“
Philipp Arnolds Inszenierung befasst sich mit Macht: mit den politischen und geschlechtsbezogenen Dynamiken am englischen Hof einerseits, wo die Königinnen von Männern beeinflusst, umworben und gegeneinander ausgespielt werden. Und mit dem Erzählen von Geschichten andererseits, mit dem Privileg, vorzugeben, was zu passieren hat, oder im Nachhinein festzustellen, was passiert ist oder sein könnte. Eindrücklich werden Machtverhältnisse offengelegt und Erzählhoheiten infrage gestellt.
Mehrmals fährt eine halbtransparente schwarze Leinwand herunter und trennt die Bühne. Dahinter isoliert steht mal die eine Königin, mal die andere in düsterem Licht. Davor stehen die Männer, hell beleuchtet, und spielen Szenen des Stückes durch. Auch die Regieanweisungen tragen sie eher vor, als sie auszuführen, und Rollen, die nicht einem von ihnen klar zugeordnet sind, sprechen sie teils synchron. In Szenen ohne die trennende Leinwand findet sich dies ebenfalls wieder. Dann treten diejenigen, die gerade die Anweisungen geben, oft an zwei Mikrofone, die die Bühne von links und rechts einrahmen. Das alles wirkt beklemmend. Wenn sie alle gleichzeitig den Text einer Rolle sprechen oder Regieanweisungen geben, die gelten, ohne dass sie irgendjemand tatsächlich ausführt, scheinen die vier Männer unbesiegbar. Einschüchternd. Wie eine Wand. Man folgt als Zuschauer*in nicht einfach der Handlung eines Theaterstücks, sondern erlebt mit, wie eine Gruppe von Männern ansagt, was zu tun ist. Umso beeindruckender ist die Wirkung, wenn Ewa Rataj und Alina Rank als die beiden Königinnen dieses Geschehen unterbrechen und sich Gehör verschaffen.
Das Bühnenbild sowie die Kostüme sind ganz in Schwarz- und Rottönen gehalten. Hinzu kommen Nebel und helles, weißes Licht. Es entsteht ein in sich geschlossener visueller Eindruck, der in seiner Kälte und Schlichtheit, durch den Verzicht auf Details – werden doch auch Requisiten größtenteils nur in den Regieanweisungen genannt und nicht tatsächlich verwendet – eine einengende, bedrohliche Atmosphäre schafft. Für Maria ist das Bühnenbild ein tatsächliches Gefängnis, für Elisabeth nur im übertragenen Sinne – frei ist keine der beiden, solange die Kulisse noch steht. Ihr Kampf um das Recht, die eigene Geschichte selbst – und gemeinsam – zu erzählen, ist sehr gelungen inszeniert und schon deswegen absolut sehenswert.
Weitere Aufführungen finden am 20.03., 22.03., 23.03., 11.04., 12.04., 13.04., 19.04., 20.04., 17.05. sowie am 18.05.2024 statt.
von Johanna Ammon
Bild links: v.li. Alina Rank, Leon Tölle; Bild rechts: v.li. Jeremias Beckford, Ewa Rataj, Leon Tölle, Alina Rank, Marek Egert (© Martin Kaufhold)
Bild links: v.li. Ewa Rataj, Leon Tölle; Bild rechts: v.li. Alina Rank, Daniel Seniuk (© Martin Kaufhold)
Bild links: v.li. Alina Rank, Ewa Rataj; Bild rechts: v.li. Marek Egert, Jeremias Beckford, Alina Rank, Leon Tölle, Daniel Seniuk (© Martin Kaufhold)