Unsichtbares sichtbar machen
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CW: Armut, Drogenkonsum, Gewalt, Kolonialismus, Krieg, Mord, Rassismus, Sexualisierung, Suchterkrankungen
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„Laut einer Studie eines Forschungsprojekts der Humboldt-Universität, der Freien Universität Berlin und des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) erlebte seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie jede zweite Person mit ost- oder südostasiatischen Bezügen Diskriminierung. Neben verbalen Angriffen handelt es sich bei elf Prozent dieser Übergriffe um körperliche Gewalt.“
Dass diese Entwicklung seit der Ausbreitung des Coronavirus aber keinesfalls eine Neuheit ist, sondern vielmehr die Spitze eines lange gewachsenen Eisbergs von Diskriminierung und Gewalt gegen asiatisch gelesene Personen darstellt, macht Hami Nguyen in Das Ende der Unsichtbarkeit – Warum wir über anti-asiatischen Rassismus sprechen müssen eindrücklich deutlich. Wie die von Nguyen verwendete Kursivierung von „anti-asiatisch“ hervorhebt, hängt eben diese Begrifflichkeit bereits mit der Homogenisierung eines ganzen Kontinents zusammen, die sowohl die Individualität einzelner Länder und deren Regionen als auch die der mit ihnen verbundenen Menschen negiert. Dies ist jedoch – neben Aspekten wie dem Mythos der Vorzeigeminderheit, Hypersexualisierung und der Frage nach Authentizität – nur eines von vielen wichtigen Themen, die das Werk bespricht.
Individuell und universell, emotional und sachlich
„Wenn ich mit Freund*innen und Kolleg*innen über anti-asiatischen Rassismus spreche, sind nach wie vor viele überrascht darüber, dass es überhaupt Rassismus gegen Vietnames*innen gibt. Rassismus wird von vielen Menschen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind, als etwas wahrgenommen, was allenfalls in Ausnahmefällen passiert oder nur unter Rechtsextremist*innen existiert.“
Die deutsch-vietnamesische Autorin und Aktivistin verknüpft in ihrem Debüt gekonnt ihre persönliche Lebens- und Familiengeschichte mit breitgefächerten, umfassend recherchierten Ausführungen über Historie und Gegenwart anti-asiatischer Diskriminierung. Mit dem Mix aus persönlichen und sachlich erläuterten Passagen untermauert die Autorin immer wieder erfolgreich, dass ihre eigenen Erlebnisse keinesfalls individuelle Einzelfälle sind. Unterstrichen werden diese Schilderungen mit zahlreichen (und in Fußnoten belegten) Verweisen auf die negativen, traumatischen und mitunter tödlichen Erfahrungen vietnamesischer Menschen in Deutschland und im Rest der Welt. In erschütternden Beispielen, die teils Jahrzehnte zurückliegen, teils jedoch auch sehr aktuell sind, lassen sich historische Entwicklungen ebenso nachvollziehen wie die Brisanz der behandelten Themen. Insbesondere die Abschnitte über die Lebensrealität vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen in der DDR, zu denen auch Nguyens Vater gehörte, erzählen ein Stück deutscher Geschichte, deren Thematisierung im Geschichtsunterricht an Schulen sehr lehrreich und wünschenswert wäre.
Mit Das Ende der Unsichtbarkeit hat Hami Nguyen ein facettenreiches, interessantes und lesenswertes Buch geschaffen, das den deutschen Buchmarkt bereichert und hoffentlich viele weitere Menschen marginalisierter Gruppen dazu ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Denn das Ziel ihres Buches formuliert die Autorin im Epilog folgendermaßen: „Ich erzähle meine Geschichte in der Hoffnung, dass ihr es ebenfalls tun werdet.“
von Alicia Fuchs
Hami Nguyen
Das Ende der Unsichtbarkeit – Warum wir über anti-asiatischen Rassismus sprechen müssen
Ullstein 2023
272 Seiten
22,99 Euro