Vereinigt in Uneinigkeit
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Sieht man sich deutsche Buchtitel über die Vereinigten Staaten an, stößt man immer wieder auf einen Sprachwitz. United seien die States nur im Namen. Ezra Kleins Buch von 2020 trug als Untertitel ‚Eine Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika’, Evan Osnos unternahm 2022 ‚eine Reise durch die gespaltenen Staaten von Amerika’. In Arthur Landwehrs Werk nun sind sie zerrissen. Anders als die Analysen der vorgenannten US-amerikanischen Journalisten ist seine Darstellung des gegenwärtigen Amerika für deutsche Leser geschrieben. Durch seine über zehnjährige Erfahrung als ARD-Hörfunk-Korrespondent in Washington ist ihm die Rolle als transatlantischer Vermittler vertraut, der er in seinem Werk gekonnt nachkommt.
„Ein Land voller Gretchenfragen, deren Antworten jeden einer Gruppe zuordnet, als gut oder böse, für mich oder gegen mich bestimmt.”
Im US-amerikanischen Kulturkrieg gibt es nach landläufiger Auffassung das Lager der republikanischen Konservativen, die Trump für Messias und Abtreibung für Teufelswerk halten, ihre White Supremacy notfalls mit Waffengewalt hochhalten und den Bible Belt mit Countrymusik beschallen. ‚Rednecks, Hillbillys‘ sagt die akademisch gebildete urbane Schicht, die die Küstenstädte bewohnt. Sie, die demokratischen Liberals, würden ihnen alles verbieten wollen, sogar die offene Meinungsäußerung. Ihnen seien keine der alten Werte heilig, wenn sie die Nationaldenkmäler stürzen und der Kernfamilie den Garaus machen wollen, sagt die ländliche Mittelschicht. Der Kampf um Identität wird in den USA erbittert entlang der Parteigrenzen und geographischen Regionen geführt.
„Wir glauben schnell, Amerikaner zu verstehen, weil sie uns scheinbar ähnlich sind.”
Zur Präsidentschaftswahl 2024 blicken die europäischen Medien gespannt auf das politische Treiben jenseits des Atlantiks. Dessen extreme Auswüchse versprechen gute Schlagzeilen, bisweilen bleiben die journalistischen Beiträge jedoch hinter einem ‘Verrückt, diese Yankees‘ zurück. Die ungebrochene Faszination für die polarisierende Supermacht verstellt oft den Blick dafür, wie unterschiedlich die Kultur dieses Landes, wie eigen die US-amerikanische Lebenseinstellung ist. Arthur Landwehr setzt dem eine historisch fundierte Betrachtung eines Landes entgegen, das schon immer zutiefst widersprüchlich ist – und sich gerade deshalb einfachen Erklärungen von außen verwehrt.
In insgesamt zehn Kapiteln behandelt das Buch die existentiellen Fragen, die die amerikanische Bevölkerung bewegen: Wie real die Sorge ist, vom Millionär zum Tellerwäscher zu werden angesichts eines privatisierten Gesundheitssystems und horrender Studiengebühren; wie die White Anxiety, die Abstiegsängste der weißen Mittelschicht, das Versprechen ‚Make America Great Again‘ von Trump so verführerisch hat klingen lassen; wie die Black Lives Matter-Bewegung nach George Floyd’s Tod den systemischen Rassismus anprangerte.
Die alten Mythen des amerikanischen Traums, des Wilden Westens, des Land of the Free. Und die neuen Werte und Begriffe der Diversity, LGBTQ+, der Wokeness und Cancel Culture. Und immer wieder die Mobilisierung dieses Spannungsfeldes in einem von Identitätspolitik geprägten Wahlkampf. Teils kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es handelt sich hier um eine Aneinanderreihung von unabhängig entstandenen Mini-Reportagen; die Kapiteleinteilung erschließt sich nicht sofort, es handelt sich oft um eine Variation der Kernthemen in jedem Kapitel. Die Stärke des Buches liegt aus diesem Grund eher in der Schilderung der Einzelschicksale. Sie vermitteln anschaulich, wie fundamental die Frage nach nationaler Identität für alle Amerikanerinnen und Amerikaner ist, ebenso wie die Frage danach, wer darüber befinden darf.
Arthur Landwehr gelingt es dabei, sich hinter dem Reportermikrofon zurückzunehmen. Damit bietet er, wenn auch kein Löschwasser, so doch eine erfrischende Neutralität zu den aufgeheizten Diskursen. Sein dialektisches Durchmessen der titelgebenden Risse macht die Positionen nicht weniger unversöhnlich, teils zeigt es sogar schmerzhaft, dass es sich eher um historisch gewachsene, systemische Gräben handelt. Zwar ist seine vielschichtige Darstellung keine tiefschürfende politologische Analyse, in seiner Breite an Fakten und Themen aber ein umso gelungeneres Einstiegswerk, um die gegenwärtige amerikanische Gesellschaft besser zu verstehen. Fern von Haltungsjournalismus, europäischem Snobismus und unnötigen ‚aufgeklärten‘ Empörungsbezeugungen.
„Zuhören heißt deshalb für mich, auch die eigenen Überzeugungen und Haltungen zurückzunehmen, denn sie spielen keine Rolle, wenn es darum geht, etwas kennenzulernen und zu durchdringen.”
Es ist diese Grundeinstellung, die das Buch so wertvoll macht. Unvoreingenommen lässt Landwehr Landsleute sprechen. Er verzichtet darauf, dies mit moralistischer Überlegenheitsposition der ‚alten Welt‘ einzuordnen. Damit zeigt er symptomatisch auf, was in den USA fehlt – Dialogbereitschaft, den Willen, tiefer zu blicken und Spannungen auszuhalten.
von Jana Paulina Lobe
Arthur Landwehr
Die zerrissenen Staaten von Amerika. Alte Mythen und neue Werte – ein Land kämpft um seine Identität
Droemer HC 2024
288 Seiten
24,00 Euro