Das Leben macht Pause
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CW: Kriegsverbrechen, Vergewaltigung
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„Leben und Tod. Freude und Trauer.“ – Kontraste, die die Figuren in Trude Teiges Roman Und Großvater atmete mit den Wellen immer wieder am eigenen Leib erfahren müssen. In Als Großmutter im Regen tanzte wurde mitreißend Teklas Geschichte erzählt, der ihre Enkelin Juni auf den Grund gegangen ist. Nun widmet sich die Autorin Großvater Konrad und seinem Überleben während des zweiten Weltkriegs.
„Allerdings hat es nicht viel Sinn, zu träumen […], wenn das Leben in einer Warteschleife steckt.“
„Aber genau dann sind Träume doch wichtig, Sie erinnern uns daran, dass irgendwann auch wieder bessere Zeiten kommen werden und der Krieg zu Ende geht.“
1943: Konrad und sein großer Bruder Sverre werden durch eine japanische Attacke auf das Handelsschiff voller Dieselöl für die Kriegsschiffe der Alliierten im Indischen Ozean voneinander getrennt. Der große Bruder hat immer auf seinen kleinen Bruder aufgepasst, der kleine Bruder folgte dem großen als Arbeiter aufs Meer, doch ihre Trennung verdammt sie erstmal in verschiedene Lager. Konrad überlebt nur knapp auf offener See und kommt nach mehreren Tagen auf Java an, wo er sich in dem bereits belagerten Krankenhaus erholt; dort arbeitet Sigrid als Krankenschwester, die den Patienten gesund pflegt. Ihre Wege trennen sich nach der Genesung nicht. Stattdessen beginnt eine Liebe in der ungewissen Zeit zu erstarken. Ihre norwegische Familie lebt schon seit einigen Jahren auf der indonesischen Insel und führte bis zur japanischen Besetzung 1942 ein Leben im Luxus als Vertreter der europäischen Kolonialmacht.
„Alles ist so unsicher, als lebten wir in einem Vakuum, ja, als warteten alle nur darauf, dass etwas geschieht.“
Immer mehr europäische Männer, Frauen und Kinder werden durch japanische Soldaten in getrennte Lager interniert. So auch Sigrids Familie und Konrad. Dort floriert der Schwarzmarkt, auch mit den Einheimischen, wobei bei dem Erwischen des Handels Anprangern und Bestrafung bis hin zu tödlichen Verletzungen auf eine*n warten. Hinzu kommt tägliche Lagerarbeit oder das Arbeiten auf landwirtschaftlichen Feldern in der prallen Sonne, der die Gefangenen ausgesetzt sind. Wenige Pausen, geringe Nahrungs- und Wasserzufuhr, krankheitsübertragende Tiere und schlechte Hygiene sind neben Sprachbarrieren, kulturellen sowie politischen Verschiedenheiten und physischer Misshandlung an der Tagesordnung.
„Ich tue, was ich tun muss, ich ertrage, was ich ertragen muss, und ich vergesse, was ich vergessen muss, um das alles durchzustehen, dachte sie.“
Die Zustände, die die verschiedenen Figuren erleben, werden in abwechselnden Kapiteln, in Frauen- und in Männerlagern erzählt. Sigrids Alltag als Krankenschwester wird schnell von den Lageraufenthalten abgelöst, wobei sie ihre Mutter und ihre Schwester bei sich hat. Ihre medizinische Kompetenz und ihre Japanischkenntnisse helfen ihr an so mancher Stelle, doch auch dadurch ist sie nicht davor bewahrt Misshandlungen mit anzusehen und am eigenen Leib erfahren zu müssen. Die Liebe zwischen Sigrid und Konrad nimmt dabei jedoch nicht ab, sondern ist für beide ein Licht in dunklen Zeiten. Er durchlebt zerrendes Heimweh, schwere körperliche Zwangsarbeit und den Verlust seiner Kameraden – genauso wie sein Bruder Sverre –, jedoch auch ein paar kurze freudige Momente, die den Optimismus der Männer neu entfachen.
„Wir müssen das Leben für einen Moment pausieren lassen, aber dann werden wir zwei zusammen sein. Eines Tages wird der Krieg vorüber sein.“
Ohne den Krieg hätte Konrad Sigrid nicht getroffen; diesen Gedanken stellt Konrad selbst in Frage, wobei er sich sicher ist, in Sigrid die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Der Glaube an ein neues Leben, nach dem Ende des Krieges, begleitet dabei nicht nur die beiden, sondern auch zahlreiche weitere Inhaftierte. Bis dorthin ist die Zeit ungewiss, aber sie leben immer wieder einen Tag länger – bis ins Jahr 1944, bis ins Jahr 1945. Missstände, Krankheiten und Tod begleiten die Figuren dabei tagtäglich.
Mit den Wellen atmen
Die Frage nach Verständnis, nach Abscheulichkeit und nach Menschlichkeit wird sich während des Lesens immer wieder gestellt. Und Großvater atmete mit den Wellen ist ein beeindruckend trauriges sowie hoffnungsvolles Buch, das Fiktion ist, doch voller Dokumentations- und Recherchematerial steckt, das erzählerisch brilliert und in dunkle Zeiten mitreißt. Die inhaltliche Verbindung zu Als Großmutter im Regen tanzte folgt ganz zum Schluss, überlagert damit keineswegs die eigenständige Geschichte von Großvater Konrad. Womit sich die Erlebnisse und Traumata der bücher-übergreifenden Figuren während des zweiten Weltkriegs bereits ereignet haben, bevor sie ihr Leben in Norwegen weiterleben konnten; die Pause des Lebens zu Ende ging, er mit den Wellen atmete und Tekla im Regen tanzte.
von Paula Heidenfelder
Trude Teige
Und Großvater atmete mit den Wellen (Generationen-Reihe, Band 2)
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
FISCHER 2024
416 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-949465-14-7