Michaela Wiebusch/Hans Rath  – Die Wundersammler 
Michaela Wiebusch/Hans Rath  – Die Wundersammler 

Michaela Wiebusch/Hans Rath  – Die Wundersammler 

Wunder gibt es immer wieder?! 

„Immer noch hat sie keine Antworten auf eine entscheidende Frage gefunden: Was sind Wunder?“

Richtig genießen kann die Münchner Soziologiestudentin Paula die italienische Sonne nicht, denn sie verzweifelt über ihrer Dissertation. Eigentlich hatte sie sich in ein Ferienhäuschen in der ligurischen Kleinstadt Molitoni eingemietet, um ihre Promotion fertigzustellen. Sie möchte sich dem Phänomen der Wunder wissenschaftlich nähern, befindet sich jedoch in einer methodischen Sackgasse.  

Auch den katholischen Pfarrer Benedikt zieht es aus Bayern nach Italien. Er reist zu Paula, nachdem er von ihrem Erkenntnisinteresse gehört hat. Seines ist persönlicher Natur: als Pfarrer eines Wallfahrtsortes ist Wunderglaube bei ihm beinahe Berufsvoraussetzung, doch privat hadert er seit geraumer Zeit mit seinem Lebensentwurf.  

Weder in einer Schaffens- noch in einer Sinnkrise steckt die zwölfjährige Franca, die Paula als neue Freundin adoptiert hat. Sie ist mit ihrer jugendlichen Aufgewecktheit das Bindeglied zwischen den beiden Figuren und vermittelt einen Austausch zwischen Paula und Benedikt.

Um Antworten auf ihre jeweils eigenen Fragen zu finden, fassen die beiden den Entschluss, gemeinsam die Interviewpartner, die Paula für ihre Arbeit telefonisch befragt hat, persönlich aufzusuchen. Mit Benedikts altem Volvo begeben sie sich auf einen Roadtrip durch Europa. Station machen sie dabei in Frankreich, der Schweiz, München und Modena, virtuell begleitet von Franca, die in regelmäßigen Zoomsitzungen über die Begegnungen auf dem Laufenden gehalten wird.  

Forschung, Glaube und Gefühl  

Zwar sind die Strukturen recht durchschaubar: die junge Wissenschaftlerin, die merkt, dass reine Objektivität nicht der rechte Zugang zu ihrem Themengebiet ist. Der sanftmütige Ordensmann, der mit seinem Glauben hadert. Die unverstellte Weisheit, die bezeichnenderweise aus einem zwölfjährigen Zahnlückenmund kommt. Dennoch sind in das Zusammenspiel der drei Generationen die drei Perspektiven verwoben, welche die Reflexionen über Wunder prägen: Forschung, Glaube und Gefühl.  

Keine Sichtweise auf Wunder wird ausgelassen, was raffiniert durch die Einführung der Interviewpartner gelöst ist: die Wunder menschlichen Schaffens im französischen Kuriositätenkabinett, die Berechenbarkeit von Wundern bei der Berner Mathematikprofessorin, das Wunder der Natur bei der Weltenbummlerin in Graubünden, das Wunder des Universums bei einem Astronomen-Ehepaar. Bisweilen lesen sich diese Einschübe wie Wikipedia-Artikel, bisweilen wird der moralisch-esoterische Zeigefinger ein wenig zu vehement erhoben.  

Die großen Theorien werden also durch die „Wunderexperten” beackert, während es bei den inneren Monologen und Erlebnissen Paulas und Benedikts um die kleinen Wunder des Alltags geht.  

„Es ist vielleicht ein bisschen kitschig, oder?“, überlegt Franca laut. 

Dieses Diktum gibt Franca ab, als Paula ihr die Einleitung ihrer Dissertation vorliest. Viele Einfälle in diesem Buch sind niedlich, andere Rezensenten würden vielleicht schreiben ‚herzerwärmend‘. Es ist aber auch ein wenig zu offensichtlich darauf aus, diesen Effekt zu erzielen. 

Der Begriff ‚Wohlfühllektüre‘ klingt immer etwas abgeschmackt, trifft jedoch mit allen damit verbundenen Stärken und Schwächen auf Die Wundersammler zu. Die Autoren Michaela Wiebusch und Hans Roth entwerfen eine sonnig-sympathische Atmosphäre, bieten einen Strauß an pittoresken Kulissen und garnieren dies mit kalenderspruchartigen (wenngleich wahren!) Denkanstößen.  

Gefühl sollte bei der Lektüre klar den Verstand dominieren. Es gibt durchaus ein paar Logiklücken oder Deus-ex-Machina-Momente – wieso schreibt eine Soziologiestudentin eine interdisziplinäre Arbeit über Wunder und ist derart unbestimmt (und stümperhaft) in ihrer methodischen Vorgehensweise? Warum erfährt Benedikt über einen gemeinsamen Bekannten von einem nicht abgeschlossenen Dissertationsprojekt? Warum spielt dieses „Doktorbuch“, wie es Franca nennt, am Ende so gut wie gar keine Rolle mehr? 

Es ist eine Trope, dass bei jedem Roadtrip immer eher die Reise zu sich selbst im Vordergrund steht. So sind es auch die intimen Unterhaltungen zwischen Benedikt und Paula, die ihre Lebensgeschichte ans Licht bringen. Die Einfühlsamkeit, mit der ihre inneren Nöte, Hoffnungen und Beweggründe geschildert werden, verweist auf den psychologischen Hintergrund des Autorenehepaars.  

Gleichwohl: tiefgehende Charakterzeichnung ist ebenso wenig zu erwarten wie sprachliche Raffinesse. Die Storyführung wirkt teils hölzern, die Nebenfiguren bleiben wie das Setting oftmals klischeehaft. Da gibt es Lavendeleis in Avignon, eine rustikale Heidi-Dachkammer bei der handfesten Schweizer Einsiedlerin, die businessversessene Psychologiecoachin schlürft einen Cocktail an der Hotelbar, während sie ihren New-Age-Manifestations-Branchensprech abspult.   

„Wer ein Wunder nicht sehen will, der wird es auch nicht erkennen.“  

Beim Schreiben dieser Rezension bedachte ich diesen Satz oft. Sich intellektualistisch über manche Gedanken zu erheben, eint Literatur- und Wunderkritiker. Lieber aber möchte ich einer der titelgebenden Wundersammler sein. Und so ende ich mit den gesammelten erfreulichen Aspekten: es gibt rührende Szenen, besonders abseits des kontinuierlichen Wunder-Plots. Die Charaktere, besonders Benedikt, sind mir ans Herz gewachsen und nur ungern tauche ich wieder aus der Welt des Buches auf. Trotz aller literarischer Mängel – das ist das wahrhaft Wundersame an der Geschichte. 

von Jana Paulina Lobe 

Michaela Wiebusch/Hans Rath 
Die Wundersammler 
dtv Verlag 2024 
304 Seiten 
20,00 Euro 
ISBN 978-3-423-28385-4 

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