Eine Schnaps-, eh Weinidee der Coronapandemie: Literaturklassiker aus einer feministischen Perspektive
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Na da schau her: Teresa Reichl ist Germanistin, Autorin und Kabarettistin und weiß mit sozialen Netzwerken umzugehen. Die Corona-Pandemie veranlasste sie dazu, Klassiker im Sprachstil der Gen Z auf YouTube zu erläutern: Kurze Sätze, leichter, jugendlicher Sound. Ihr Format nennt sich: but make it classy. Nun gibt es im Carlsen Verlag das passende Buch dazu, für gerade einmal 10€. Slay.
Die Autorin, die sich zu Beginn selbst mit Teresa vorstellt, gliedert ihr Werk in die einzelnen Literaturepochen und -strömungen, erklärt zunächst, wofür sie stehen und welche geschichtlichen Ereignisse und Personen wesentlichen Einfluss darauf nahmen. Anschließend geht sie auf einige Klassiker zur jeweiligen Epoche näher ein, aus feministischer Perspektive: Bettina von Arnim oder Luise Gottsched sind auf den gut 150 Seiten präsent, um genau ebendiesen Autorinnen Gehör zu verschaffen, die fester Bestandteil eines Literaturkanons sein sollten, es aber nicht sind. Trotzdem, über Werke der Fameboys der deutschen Literaturgeschichte, wie Goethe und Schiller, ist dennoch zu lesen. Zum Schluss erstreckt sich über ein paar wenige Seiten eine Infobox, in der Leser*in sich ein „how to Literaturanalyse“ zu Gemüte führt. Dank Teresas Notizen zu Gedichten wie „Willkommen und Abschied“ wird eine anschauliche Idee dessen gegeben, wie Analyse aussehen kann.
Eine meister*innenhafte Erzählstimme, die humorvollen Senf dazuzugeben weiß
„Das find ich so wild. Da setzt sich jemand hin und sagt: ‚Literatur funktioniert so!‘ Und alle denken sich: ‚Okay, cool, alles klar, danke fürs Bescheidgeben!‘. Hier spricht die Autorin Teresa über Martin Opitz, der erstmals das Regelwerk der deutschen Literatur aufschrieb. Die Sprache des Textes liest sich leicht. Ein gutes Rezept, um harten Tobak an eine Leser*innenschaft heranzutragen, die fade Literaturwissenschaft verpönt, weil es an adäquater Vermittlung mangelt. Wer dieses Buch liest, kann mit fun facts über Goethe und Epochen genauso prahlen wie über den Aufbau eines Sonetts und welche Reimschemata es inne hat.
„Sturm und Drang war die Pubertät deutscher Literaturgeschichte.“
Teresa Reichl folgen 29 Tausend Menschen auf Instagram, sie gewann zahlreiche Preise als Slammerin und tritt als Kabarettistin auf. Das Debütwerk der 27-jährigen Muss ich das gelesen haben? Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern möchte ich ebenso in den Himmel loben, wie das soeben erschienene Buch. Die Autorin hilft nicht nur Deutschlehrkräften in ihrer Didaktik zu deutscher Literatur aus der Patsche, sondern transformiert geradezu, indem sie beweist, dass es um das Wie, also die Herantragung, geht. Teresa, dank dir werde ich der voguen Deutschlehrerin, bei der man zumindest was versteht, einen Schritt näher sein! Also führe bitte fort: Jedes Jahr ein neues Buch?
von Miriam Mösl
Teresa Reichl
but make it classy.
Ein feministisches Close-up deutscher Literatur
Carlsen 2024
155 Seiten
10 Euro
ISBN 978-3-551-32179-4