Benoit d’Halluin – Nacht ohne Morgen 
Benoit d’Halluin – Nacht ohne Morgen 

Benoit d’Halluin – Nacht ohne Morgen 

„Für ein Schiff, das seinen Weg nicht kennt, weht kein Wind günstig.“ 

CW: (sexualisierte) Gewalt, Tod 

Benoit d’Halluin erzählt in seinem Debütroman Nacht ohne Morgen eine Geschichte, die an Spannung und Introspektion ihresgleichen sucht.  

Alexis wird von einem Auto angefahren und es stellt sich heraus, dass es sich um ein Attentat statt eines Unfalls handelt. Der Schock über die Nachricht trifft Catherine, Alexis‘ Mutter, noch mehr, da der Anrufer Marc, der Freund ihres Sohnes, ist – eine Beziehung, von der sie nichts wusste, ja nicht einmal von der Homosexualität Alexis‘. Marc und Catherine reisen zusammen von Frankreich nach New York, um bei Alexis zu sein, der dort im Koma liegt. Auf dieser Reise lernt Catherine den Mann an der Seite ihres Sohnes sowie das ihr verborgene Leben Alexis‘ kennen und macht sich auf die Suche nach der Person, die für Alexis‘ Verletzungen verantwortlich ist. 

„Zwei Menschen, zwei Geschichten, aber vor allem zwei Einsamkeiten, die aufeinandertreffen. Ein Abgrund an Leere und Leidenschaft. Nie war das Verlangen der Verzweiflung so nah.“ 

Nacht ohne Morgen verhandelt Liebe – die Suche, das Verzehren danach, die Trennschärfe zur Obsession und die Wahrhaftigkeit davon. Anhand der verschiedenen Charaktere und ihren jeweiligen Erfahrungen werden unterschiedliche Formen und Gesichter von Liebe gezeigt, enthüllt und aufgearbeitet. Obwohl der Roman vom spannungsgeladenen Plot um Alexis‘ Attentat geprägt ist, zeigt sich hier trotzdem seine Großartigkeit. Das Verlangen danach zu lieben und geliebt zu werden, die Schwierigkeit, sich auf die Liebe einzulassen, die Wunden, die Liebe anrichten kann und wie vermeintliche Liebe missbraucht werden kann – d’Halluin erzählt von alldem und noch viel mehr. Mit klugem Blick wird auf prägende Wesenszüge, die Schwere und Konsequenz von Geheimnissen, den trügenden Schein in Beziehungen und die intrinsische Kraft, die aus traumatischen Erfahrungen hervorgehen kann, eingegangen.  

D’Halluins Erzählung springt zwischen dem Jetzt, in dem Catherine versucht ihren Sohn und das Geschehene zu verstehen und der Vergangenheit Marcs und Alexis‘ – ihrer gemeinsamen sowie den Jahren, bevor sie zueinander gefunden haben – hin und her. Die Episoden sind jedoch immer mit Orts- und Zeitangaben gekennzeichnet, sodass man als Leser*in nicht in den Rückblenden umherirrt. Der Autor schafft es, jeder Perspektive ihren eigenen Ton mitzugeben, sodass man trotz der auktorialen Erzählweise ganz in den Bann des jeweiligen Charakters hineingezogen wird. Die Erzählkraft des Autors liegt in inneren Monologen und Reflektionen der Protagonist*innen, die sich strudelhaft immer weiter schrauben und dabei manchmal auf ihrem Höhepunkt etwas zu dramatisiert erscheinen, aber dadurch auch ergreifen. Wenn man sich darauf einlässt, darf man sich an der schönen Prosa d’Halluins erfreuen, die die durchdringende Introspektion auf Queerness, Einsamkeit und Beziehungen in so berührende Worte gießt.  

Vollendet wird das Leseerlebnis durch das wunderschöne Cover mit dem Werk Triton der Künstlerin Nancy Jack und der angenehmen Haptik der Karl Rauch Bücher. Eine Lektüre mit Tiefe, Spannung und Hoffnung, die nur zu empfehlen und dank der Übersetzung von Paul Sourzac nun auch auf Deutsch zu lesen ist. 

von Michaela Minder

 

Benoit d’Halluin 
Nacht ohne Morgen 
Aus dem Französischen von Paul Sourzac 
Karl Rauch 2024 
320 Seiten 
25,00 Euro 
ISBN: 978-3-7920-0283-4 

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