Varina Walenda – Dopamin & Pseudoretten
Varina Walenda – Dopamin & Pseudoretten

Varina Walenda – Dopamin & Pseudoretten

„Schon mein ganzes Leben will ich jemand anderes sein […]“

CW: Drogenmissbrauch, Suizidversuch

Varina Walenda spannt ihren Debütroman Dopamin & Pseudoretten in das ‚davor‘, ‚dazwischen‘ und ‚danach‘ einer Mastektomie, die entscheidend ist für Janis’ Suchen und Finden zu sich selbst.

Janis ist „[…] fünfundzwanzig und alles an [s]einem Körper fühlt sich falsch an“. Der Roman begleitet seine Transition, die einhergeht mit einer Emanzipation. Den Versuch den Klammern der Herkunft zu entkommen, weil ein Umfeld wie die schwäbische Provinz einem nicht die eigene Widergeburt gestattet und die Erinnerungen im Elternhaus an Tränen „wegen unerwiderter Liebe und wegen meinem Körper“ zu schmerzhaft sind, beschreibt die Autorin authentisch: „Man möchte schreien ‚Get a life!‘, aber man geht brav und angepasst ins Haus.“

Wo aber Raum für die Widergeburt ist, ist in Berlin – in einem WG-Zimmer direkt am Kottbusser Tor.

„[…] meinem Körper. Dem ich schon frühzeitig den Krieg erklärt habe. Ein zäher Stellungskrieg, der bis heute andauert.“

Berlin bietet aber auch die Möglichkeit sich zu verlieren. Hin- und hergerissen zwischen zwei Liebschaften versucht Janis herauszufinden, was ihm in einer Beziehung wichtig ist, oder ob sich das nötige gegenseitige Verständnis nur in t4t-Beziehungen finden lässt, denn „[i]n der Vereinigung zweier trans* Menschen, zweier vom Schicksal Gefickter, verflüchtigt sich der ganze Krampf“. Walenda scheut auch nicht davor zurück, Janis das Klischee eines Mittzwanziger in Kreuzberg erfüllen zu lassen und somit ist Drogenkonsum stets präsent. Als Anker in all dem zählt der Protagonist auf Marcel, seinen großen Bruder. Und dennoch hat Janis ein ambivalentes Verhältnis zu ihm, da er zwar die wichtigste Bezugsperson ist, aber die Brüderbeziehung auch von Neid geprägt ist, weil Marcel all das verkörpert, was Janis denkt, nicht zu sein: „Mit einem Mal packt mich eine irre Wut. Darauf, dass Marcel der Stärkere ist. Der echte Junge.“ Dieser Konflikt potenziert die Vielschichtigkeit der Dynamik und verdeutlicht, dass Dopamin & Pseudoretten mehr ist als eine Transitionsgeschichte. Diese ist zwar zentral, aber die drohende Entfremdung von Geschwistern und wie die beiden einander doch im entscheidenden Moment den größten Rückhalt geben, wird nuanciert und einfühlsam von Walenda beschrieben. Janis’ Höhen und Tiefen präsentiert Walenda in einem ungeschönten, rauen Ton, der aber erneut ihre Authentizität als Stärke beweist.

Dopamin & Pseudoretten zeigt, wie sehr man sich im Traum verlieren kann, weil man sich eine andere Realität so sehnlichst wünscht – bis dieser Traum Wirklichkeit wird.

von Michaela Minder

Varina Walenda
Dopamin & Pseudoretten
Voland & Quist 2023
210 Seiten
24,00 Euro
ISBN: 9783863913885

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