Zwei literarische Übersetzerinnen im Rampenlicht (Extended Version)
Zwei literarische Übersetzerinnen im Rampenlicht (Extended Version)

Zwei literarische Übersetzerinnen im Rampenlicht (Extended Version)

Unsichtbarkeit ist zugleich Segen und Fluch von Literaturübersetzer*innen. Bestenfalls merkt man nicht, dass ein Buch eigentlich in einer anderen Sprache verfasst war. Schlimmstenfalls merkt man nicht, dass sie darin mehrere Monate harte Arbeit investiert haben.

Der Beruf des Übersetzens ist meistens einsam und findet immer im Hintergrund statt. Das Rezensöhnchen möchte das im Rahmen seiner Möglichkeiten ändern: für ein geselliges Gespräch werden zwei wunderbare Übersetzerinnen ins Rampenlicht gestellt:

Lisa Kögeböhn (LK) und Stefanie Jacobs (SJ) kennen sich schon seit ihrem Studium des Literaturübersetzens in Düsseldorf. Gerade haben sie sich wieder auf der Jahrestagung des Verbands der Übersetzer*innen wiedergesehen. Von der dortigen Klassenfahrtsatmosphäre erzählen sie in unserer Unterhaltung ebenso wie von übersetzten Abba-Lyrics als Erstlingswerke und wie man in verschiedenen Dialekten „heimlich schaut“.

Ihr kommt frisch von der VdÜ-Jahrestagung in Wolfenbüttel. Was sind eure Eindrücke? Was bewegt die Branche derzeit?

SJ: Es ist gerade allgemein keine einfache Zeit in der Branche. Aber ich habe das Gefühl, die Übersetzer und Übersetzerinnen – ich sage mal „Übersetzys“, das finde ich immer ganz praktisch – lassen sich in ihrem Elan und Zusammenhalt davon trotzdem nicht bremsen. Lisa, wie siehst du das?

LK: Genauso. Diese Tagung ist immer ein sehr notwendiger Lichtblick im Jahr, um wieder festzustellen, dass wir unsere Arbeitsbedingungen alle ähnlich erleben. Und daraus dann auch wieder Kraft zu schöpfen. Dieses Klassenfahrtfeeling sorgt immer für Aufschwung. 

SJ: Das Übersetzen ist ja erst mal im täglichen Tun ein einsamer Beruf. Deshalb empfinde ich gerade den kollegialen Zusammenhalt, dieses große Netz aus Kolleg*innen, die über die Jahre auch oft Freunde geworden sind, als große Bereicherung. Das wird dann in Wolfenbüttel noch mal anschaulich und fühlbar. Zwar hat man es die ganze Zeit im Hinterkopf, aber wenn man tief in der Arbeit steckt, vergisst man das manchmal auch ein bisschen.

JPL: Wie ist es um den Übersetzer*innennachwuchs bestellt bei den schwierigen Arbeitsbedingungen?

SJ: Für viele ist es einfach ein Traumberuf und es drängen nach wie vor so einige hinein. Ich habe den Eindruck, dass sich der Einstieg im Moment etwas schwieriger gestaltet, als es noch vor einer Weile war.

LK: Absolut. Ich glaube, nicht der Nachwuchs ist das Problem, sondern eher, dass uns nach hinten raus Leute wegbröckeln. Die Bedingungen sind einfach so schlecht, dass sich auch viele fähige Kolleg*innen aus finanziellen Gründen umorientieren müssen. Und das beobachte ich mit großer Sorge für die Zukunft des Berufes. 

JPL: Da haben wir schon wieder mit dem Negativen begonnen. Aber ihr seid ja mit Leidenschaft dabei. Wie seid ihr denn dazu gekommen? Lasst uns teilhaben an dem Beginn eurer Übersetzerbiografie.

SJ: Im Nachhinein betrachtet gab es bei mir frühe Hinweise. Ich bin in der DDR großgeworden, und meine Mutter z.B. hatte überhaupt keinen Englischunterricht. Wir haben aber natürlich trotzdem Songs mit englischen Texten gehört. Meine Mutter hat sich immer geärgert, dass sie überhaupt nicht versteht, was da gesungen wird. Die deutschen Juliane-Werding-Versionen von original englischen Hits waren nicht umsonst sehr beliebt zu der Zeit. Jedenfalls war ich, als ich dann, direkt nach der Wende, in der fünften Klasse endlich Englischunterricht hatte, super motiviert. Ich habe dann früh angefangen – damals noch mit meinem Kassetterekorder –, den Text rauszuhören von Songs, die sie mochte: Play, Stopp, aufschreiben, was ich verstanden habe, Play, Stopp, aufschreiben, etc. pp. Mit meinem Schulenglisch, was ich seit zwei oder drei Jahren hatte, habe ich dann zu übersetzen versucht. Daraus habe ich dann ein Heftchen mit sechs, sieben Songs gemacht, das ich meiner Mutter geschenkt habe. Das besitze ich heute noch. Es hat mich fasziniert, dass man sich diese englischen Songs anhören und sie wirklich verstehen kann. Das ruhte dann aber eine ganze Weile, und nach dem Abi habe ich erstmal aus reiner Einfallslosigkeit eine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht. Ich war mir aber sicher, dass ich die bestenfalls abschließe. Das habe ich auch getan, mich aber parallel umgesehen und zum Glück im letzten halben Lehrjahr entdeckt, dass es in Düsseldorf den Studiengang Literaturübersetzen gibt. Und dann wusste ich einfach, was ich mache, das war so schön zielgerichtet. Ich wollte etwas mit Sprachen machen, aber auf keinen Fall Lehrerin werden. Ja, und dann habe ich mich da eingeschrieben und dann nahm die Sache ihren Lauf.

LK: Schöne Geschichte.

JPL: Und sehr sympathisch, ABBA ist immer gut.

SJ: Ja, kann ich mir immer noch gut anhören.

JPL: Und jetzt verstehst du alles. Alle Rätsel sind gelöst.

LK: Lebensziel erreicht. Also ich wollte in der Schule auch schon immer was mit Sprachen und Büchern machen, bin aber nicht von allein darauf gekommen, dass die beste Kombination aus Sprachen und Büchern das Übersetzen gewesen wäre. Und in diesem grünen Studiengangswälzer, den man damals gekriegt hat, habe ich da auch nichts Entsprechendes gefunden. Aber ich bin in einem Internetforum darauf gestoßen, dass jemand in Düsseldorf genau wie Stefanie Literaturübersetzen studiert. Das war so ein augenöffnender Moment, dass ich dachte „JA! Genau das ist es doch!“

Ihr habt beide auf Diplom Literaturübersetzen studiert. Mittlerweile hast du die Seiten gewechselt und bist auch als Dozentin an deiner Alma mater tätig, Stefanie.

SJ: Ja, ich unterrichte da seit etlichen Jahren die Berufskunde. Dass es nur noch ein Masterstudiengang ist, finde ich fast ein bisschen schade. Was ich damals an unserem Studiengang gern mochte: Es war ein schöner Rundumschlag durch Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Übersetzungspraxis und ein bisschen Übersetzungstheorie. Wobei die auch nur bedingt hilfreich ist beim praktischen Übersetzen.

LK: Es ist ganz gut, sie zu kennen, um sich davon abzugrenzen.

SJ: Ja und falls man mal schlau klingen muss. Bei den praktischen Übersetzungskursen war es faszinierend, wie wenige Sätze man schafft, wenn man anderthalb Stunden mit zehn Leuten über eine Übersetzung diskutiert. Das fand ich gerade am Anfang des Studiums sehr eindrücklich: was jemand alles an einer Formulierung auszusetzen haben könnte und auch, was alles drinsteckt.

LK: Und auch gleichzeitig die Tatsache, dass man aus einem englischen Satz bei zehn Leuten zehn unterschiedliche Versionen herausbekommt. 

SJ: Ja, absolut. Eine Erinnerung an einen der allerersten praktischen Übersetzungskurse: Da haben wir ein Stück aus Alice im Wunderland übersetzt. Der Studiengang war in dieser Form damals recht einzigartig, d.h., die Leute kamen dafür aus allen Ecken Deutschlands. Als wir also Alice übersetzt haben, gab es da eine Stelle, wo Alice heimlich irgendwo hinschaut. Jede*r hatte was anderes! Alice „lünkert“, Alice „linst“, Alice „luchst“… Und ich bin fast vom Stuhl gefallen, weil mir überhaupt nicht klar war, wie regional mein eigener Sprachgebrauch war.

LK: Das ist lustig, weil ich genau dieses Problem neulich in einer Übersetzung hatte, dass irgendjemand heimlich geguckt hat. Dafür gibt es einfach kein hochdeutsches Wort. Ich habe dann eine Umfrage auf Instagram gestartet und da kam auch diese ganze Bandbreite an „Lunzeln“, „Schmulern“ und „Spinksen“ raus. Ein Füllhorn an regionalen Begriffen

JPL: Ehrlich gesagt habe ich von den jetzt genannten Verben so gut wie keines gekannt. Ich glaube, wir würden jetzt hier im Fränkischen vielleicht „spitzen“ sagen.

LK: Ja, siehst du, unendliche Varianten. Und keine davon kann man in ein Buch schreiben.

SJ: Das ist echt schlimm. Es gibt von manchen Sachen tatsächlich fast nur Regionales. Ich meine, wie heißt das Ende vom Brot auf Hochdeutsch?

LK: Auch ein beliebtes, weites Feld.

SJ:  Ergänzt wurden die Übersetzungskurse an der Uni durch Seminare bei Leuten aus der Praxis. Die waren aus meiner Sicht nochmal mindestens genauso wertvoll. Es gab dann zwei einwöchige Praktika, oder eher Intensivkurse, im EÜK Straelen, das ist ein renommiertes internationales Arbeitszentrum für professionelle Literatur- und Sachbuchübersetzer*innen. Da haben wir noch mal ganz andere Textsorten übersetzt. Im Studium wurden doch viele klassische Texte übersetzt, während man es in der Praxis viel mit Unterhaltungsliteratur zu tun hat.

JPL: Wie war es dann bei dir, Lisa? Wie kamst du an deinen ersten Auftrag?

LK: Ich habe es tatsächlich über Initiativbewerbungen versucht, was überhaupt nicht aussichtsreich ist. Ich habe eine Arbeitsprobe zu Verlagen geschickt nach dem Motto „Junge, motivierte Übersetzerin sucht Auftrag“. Ganz viele Absagen oder auch gar keine Absagen bekommen. Ich habe es dann mit „Networking light“ versucht, indem ich die Lektorin einer Kommilitonin angeschrieben habe, die dort bereits ihren ersten Auftrag bekommen hatte und mich auf sie berufen habe. Für die durfte ich dann als Probe die Bildunterschriften in einer Lady Gaga-Biografie übersetzen. Das fand sie dann offensichtlich so gut, dass sie mich ihrer Kollegin empfohlen hat, die mir dann die Robbie Williams-Biografie angeboten hat. Das war mein erster Auftrag. Später kamen dann noch einige Musikbiografien dazu. Aber irgendwann habe ich den Absprung geschafft.

JPL: Und was war dein erstes Werk, Stefanie?

SJ: Das war der Debütroman von Benjamin Kunkel, der hieß Indecision, also Unentschlossen. Der ist in Amerika nach einer prominenten Besprechung völlig abgegangen, und der Hype hat dazu geführt, dass ihn ein deutscher Verlag gekauft hat und schnellstmöglich veröffentlichen wollte. Er hat sich, zumal für den ersten Auftrag, echt bombastisch verkauft, was ich damals noch gar nicht so einschätzen konnte. Aber es war so eine Situation, wo ein Verlag schnell jemanden gesucht hat, das sind oft die Chancen. Ich glaube, das Buch mag sein, wie es will, man hat immer eine besondere Beziehung zu seinem ersten „Baby“. Zumindest geht es mir immer noch so. Das war schon wirklich toll, so ein Buch zu haben und zu wissen, man übersetzt das, es wird dann wirklich gedruckt und Leute lesen das. Wow. 

LK: Ja, das ist das Schöne an unserem Beruf, dass man hinterher etwas in der Hand hat, auf dem auch noch der Name steht. Das macht diese monatelange Arbeit so greifbar am Ende.

JPL: Oh, das Gefühl kann ich mir vorstellen. Gibt es eigentlich besondere Genres, mit denen man beginnen kann?

SJ: Genrebücher, also Krimi, Romance oder so sind als Einstieg einerseits gut, denn so was wird viel geschrieben und viel verkauft, da kriegt man eher mal einen ersten Auftrag. Das große Problem ist, man steckt dann in so einer Schublade, aus der kommt man schlecht wieder raus. Wenn du einmal das und das gemacht hast, kriegst du immer wieder das und das angeboten. Wie bei deinen Musikerbiographien, Lisa.

LK: Ja, nee, das hat Spaß gemacht. Aber so nach der fünften, sechsten Musikerbiografie…Ich wollte eigentlich Romane übersetzen. Ich bin dann über Sexy Romance, also genau Genre, wie du sagst, irgendwann doch zu Belletristik gekommen. Das habe ich übrigens aber auch unter Pseudonym übersetzt, um nicht in der Schublade zu landen. Jetzt bin ich bei der Literatur und Romanen, wo ich hinwollte.

JPL: Was macht ihr, wenn ihr ein Buch übersetzt, und ihr mögt es nicht?

LK: Ich glaube, wir sind beide inzwischen in der glücklichen Lage angekommen, dass wir ein Manuskript gar nicht erst annehmen, wenn wir bei der Prüfung merken, es sagt uns überhaupt nicht zu bzw. wir können uns nicht vorstellen, dass wir diese Stimme drei bis vier Monate lang verkörpern. Aber das ist natürlich eine Situation, die man sich erst mal erarbeiten muss. Ich habe früher Bücher angenommen, die ich nicht gerne gelesen und auch nicht gerne übersetzt habe.

SJ: Man muss sich schon bewusst machen, dass man sich da über Monate jeden Morgen hineinbegeben muss, und zwar tief. Es geht gar nicht anders, als dass man in dieser Zeit, in der man das Buch übersetzt, auch ein bisschen darin lebt, selbst wenn man gerade nicht am Schreibtisch sitzt. Es passiert mir ab und zu, dass ich ein Buch annehme, weil ich es nicht schaffe, es vorher ganz zu lesen, bei dem ich später merke, es ist doch nicht ganz mein Ding. Am besten sollte man nur Bücher machen, in denen die*der Autor*in ab und zu Sätze schreibt, bei denen man denkt „Dafür möchte ich ihn oder sie jetzt gerne drücken“. Das trägt einen dann auch wieder so durch die Arbeit, bei der ja doch oft Zeitdruck herrscht. Wenn man noch so und so viele Seiten an dem Tag schaffen muss, aber eigentlich schon müde ist und nicht mehr so gut kann … dann hat man bestenfalls Texte, die einem aus sich heraus Schwung geben.

LK: Sehe ich ganz genauso. Vor allem tut man auch niemandem einen Gefallen damit, wenn man einen Auftrag annimmt, der einem nicht liegt. Sich selbst nicht, aber auch der*dem Autor*in nicht. Wenn man das nur runter übersetzen würde, wäre es einfach nicht fair, auch nicht dem Verlag gegenüber. Die Lesenden haben auch nichts davon. Es ist schon wichtig, dass wir Aufträge haben, die zu uns passen. 

JPL: Wie sieht dann euer Übersetzeralltag aus?

SJ: Bei jede*m anders, aber ich würde sagen, man sollte darauf achten, dass man die Zeit, in der man vom eigenen Biorhythmus her am besten arbeiten kann, möglichst komplett für die Kernarbeit freihält. Ich kann mich vormittags am besten konzentrieren. Und dann versuche ich, so früh wie möglich am Schreibtisch zu sein und dann einfach so lange, wie es geht. Das Handy außer Reichweite und Social Media vorher oder nachher abfrühstücken. Wenn man Kinder hat, ist diese Zeit oft doch nach hinten begrenzt – Abholen, Hobbys etc. Aber nachdem mein Sohn abends im Bett ist, kommt bei mir eigentlich standardmäßig nochmal eine Arbeitsschicht.

LK: Ja, bei mir ist die Arbeitszeit durch den Alltag mit den Kindern auch vorstrukturiert. Aber ich wüsste gar nicht, ob ich sonst freiwillig Abendschichten machen würde. Ich rechne mir am Anfang eines Projekts immer aus, wie viele Seiten am Tag ich schaffen muss. Auch um mich selbst zu disziplinieren. Die Zeit ist für uns sehr frei einteilbar, was gleichzeitig Fluch und Segen ist.  

SJ: Das mache ich genau so. Ich schreibe mir vor allen Dingen jede Woche auf, wie viel Prozent von meinem Wochenziel ich geschafft habe. So ein kleines Controlling im Kalender. Bei 100 % gönne ich mir dann einen Smiley. Also genau wie Lisa mache ich mir vorher einen Plan. Ich habe mir so ein System angewöhnt aus sehr unordentlichen Rohübersetzungen, die ich dann mehrfach überarbeiten muss. Deswegen muss ich ein bisschen mehr rechnen. Eine erstmals übersetzte Seite ist bei mir noch lange nichts Fertiges. Ich kalkuliere aber vorab ziemlich genau, wie viele Seiten von welchem Bearbeitungsgang ich pro Woche schaffen muss.

LK: Das ist sehr lustig und anschaulich, weil Stephanie und ich komplett gegensätzlich arbeiten. Stefanie macht eine richtig rohe Rohübersetzung. Du hast das mal „Tagebau“ genannt, Stefanie, das fand ich sehr schön, wo du dann aus der ganz rohen Version die feine raushämmerst und -meißelst. Bei mir ist das umgekehrt. Die erste Version, die ich übersetze, ist schon möglichst ausformuliert, ich schreibe keine oder nur wenige Varianten in den Text.

SJ: Ich würde das gerne so können wie du, Lisa. Ich komme mir manchmal recht langsam vor mit meiner Methode, aber ich kann es nicht anders. Nur so kriege ich das Fremdsprachliche aus meinem Text raus. Dann habe ich da auf Deutsch so einen Batzen von Sprachmaterial. Und wenn ich in einem vollkommen anderen Arbeitsgang, vielleicht ein paar Wochen später, ans Überarbeiten gehe, kann ich mich viel besser von der sprachlichen Struktur des Originals lösen und nur auf die Bedürfnisse meines deutschen Textes schauen. Aber ich glaube, effizienter ist es, wenn man es schafft, diese beiden Schritte in einem zu vereinen.

JPL: Wie faszinierend, danke für den Einblick in eure Arbeitsweisen. Nun meintet ihr, der Beruf sei einsam. Wie ist denn die Kommunikation mit den Autor*innen, die ihr übersetzt?

SJ: Wir haben witzigerweise gerade in Wolfenbüttel gegenseitig unsere Workshops besucht. In ihrem Workshop zu Social Media hat Lisa festgestellt, dass man darüber eine sehr niederschwellige Möglichkeit hat, Autor*innen zu kontaktieren. Das kann ich auch unterschreiben. Wenn man über den Verlag versucht, Kontakt zum Autor zu bekommen, ist das oft schwierig, entweder es dauert oder es heißt gleich, „Nein, wir können die Mailadresse nicht rausgeben“. Meistens sind die Autor*innen aber auf Social Media, und dann schreibt man schreibt sie einfach mal an. Dann antworten die total nett und man hat so einen direkten Kontakt. Autor*innen sind aber natürlich auch unterschiedlich nahbar.

LK: Auf jeden Fall ist es sehr hilfreich, Kontakt zu haben, denn man kann einfach nicht alles alleine lösen. Man versucht natürlich, sich so viel wie möglich selbst zu erarbeiten, zu recherchieren, mit muttersprachlichen Bekannten zu sprechen. Aber im Zweifelsfall lohnt es sich, nachzufragen. Und dann ist dieser kurze Weg super. Dann muss man nicht mehr rumrätseln, sondern weiß, so und so ist es gemeint. Und dann muss man sich nur noch die Übersetzung überlegen … 

JPL: Kinderspiel. Was macht eine gute Übersetzung denn für euch aus?

LK: Ich bin immer für ein möglichst freies Übersetzen, um dem Text so gerecht wie möglich zu werden. Man sollte nicht am Wort kleben, sondern versuchen, die Wirkung nachzuahmen, die der Text auf die Leser*innen des Originals hat. Zu erspüren, was will der Text, wie klingt er, was muss ich alles transportieren? Das findet häufig nicht auf der Ebene „Wort für Wort“ statt.

SJ: Das kann ich absolut unterstreichen. Man muss sich zumindest so viel Freiheit zugestehen, dass der deutsche Text eine Chance hat, wirklich aus sich heraus schön zu sein und beim Lesen Spaß zu machen – wahlweise natürlich auch, aus sich heraus zu schmerzen oder zu knirschen, je nachdem, welche Wirkung das Original entfaltet. Zurück zu meinem Arbeiten mit Varianten: Vielleicht gelingt es mir dadurch, mich relativ freizumachen. Manchmal folgt das dieser Struktur: Variante eins/Variante zwei/was ich eigentlich am liebsten schreiben würde, auch wenn es vielleicht einen Schritt weitergeht als das, was da auf Englisch oder Französisch steht. Zu stark am Originaltext entlangzuschreiben, führt selten zu einem guten Ergebnis. Man muss alles ja erst einmal komplett in sich aufnehmen und von innen heraus wieder formulieren. Nur dadurch entsteht etwas, was vom Deutschen her gedacht und formuliert ist.

JPL: Eure Zielsprache ist klar, aber auch eure Ausgangssprachen sind diesselben, Englisch und Französisch, oder?

LK: Theoretisch habe ich mal so angefangen, aber praktisch übersetze ich nur aus dem Englischen. Das ist auch die verbreitetste Übersetzungssprache. Ich glaube, 60 % der auf Deutsch erscheinenden Übersetzungen kommen aus dem Englischen. Da gibt es natürlich die meisten Anfragen. 

SJ: Bei mir ähnlich. Aber ab und zu kommt noch was Französisches dazu. Ich habe jetzt auch neulich einmal ein Stipendium eingeworben, um mich aktiv darum kümmern zu können, dass mein Französisch nicht verkümmert. (Danke, lieber DÜF!) Wie Lisa sagt, kommt das allermeiste aus dem Englischen und eine Zweitsprache rostet schnell ein.

LK: Genau das ist bei mir der Fall.

JPL: Das heißt, ihr bemüht euch aktiv, die Ausgangssprache zu trainieren?

LK: Man muss beim Übersetzen tatsächlich aufpassen, dass man seine Sprache nicht so verengt, sondern immer seinen sprachlichen Horizont erweitert. Das gilt fürs Deutsche und fürs Englische. Ich versuche natürlich, möglichst viel auf Englisch zu lesen und zu schauen. Mein Traum ist aber immer noch ein Reisestipendium nach New York. Das sollte ich mal angehen und den Übersetzerfonds darum anhauen. Denn natürlich muss man die Sprache und die Kultur lebendig halten und sich da immer weiterbilden. 

SJ: Im normalen Arbeitsalltag ist es aber schwer, die Zeit dafür zu finden. Man muss das schon aktiv angehen. Ich bin dann von diesem „Französisch-nicht-einrosten-lassen“-Stipendium mehrfach nach Paris gefahren. Einfach öfters mal so ein Wochenende. Da habe ich auch mal nach aktueller französischer Literatur geguckt, was mich da wirklich anspricht, einfach um das mal wieder zu machen. Von allein bleibt es, zumindest bei Französisch, nicht. Mit Englisch ist man doch insgesamt mehr in Berührung.

LK: Diese Stipendien sind natürlich eine super Sache, weil unsere Bezahlung sonst leider keine ständigen Reisen zulässt.

JPL: Ich möchte nochmal anknüpfen an einen sehr interessanten Punkt, den du noch gesagt hast, Lisa. Es ist ja nicht nur die lexikalische Komponente, sondern tatsächlich auch Kultur, die Sprache durchzieht. Schon allein bei der englischen Sprache gibt es ja so viele Kulturräume – britisch, amerikanisch, australisch…habt ihr da Schwerpunkte?

LK: Und es beschränkt sich ja nicht nur auf die ursprünglich englischsprachigen Länder. Es ist ja eine riesige Bandbreite an Literatur, die auf Englisch erscheint. Ich glaube, da muss man Buch für Buch gucken, ob man sich das zutraut und ob man wirklich die Kenntnisse mitbringt, um das übersetzen zu können.

SJ: Ich habe aktuell ein Buch von einem Amerikaner mit iranischen Wurzeln und muss mich dafür ziemlich in die iranische Kultur einarbeiten [Anm. Martyr von Kaveh Akbar]. Ich hatte auch mal einen Unterhaltungsroman von einer Britin mit nigerianischen Wurzeln [Anm. Lizzie Damilola Blackburn]. Da galt es wieder ganz andere Sachen zu recherchieren. Das geht schon, im Verlauf eines Projekts kann man das schon machen. Aber es gibt Bücher, bei denen wäre ich mir nicht sicher, ob ich mich rantrauen würde. Das soll jemand machen, der von vornherein das Vorwissen mitbringt.

JPL: Habt ihr ein Lieblingswort in einer eurer Sprachen?

SJ: Oh, ein Lieblingswort habe ich gar nicht, aber immer mal Fundsachen, über die ich mich dann eine ganze Weile freuen kann. In der Auslage eines türkischen Gemüsegeschäfts zum Beispiel hatten sie ‚Pampelmusen‘ falsch geschrieben. Und da stand „Pampulmesen“. Das klingt so großartig, wenn man das umdreht.

LK: Fantastisches Wortspielmaterial. Da springt sofort der Instinkt an, was man aus dem Wort noch rauskitzeln könnte.

SJ: Ja, wie sich der Charakter verändert! Also kein konkretes Lieblingswort, aber ich erfreue mich immer an Formulierungen. Lisa, du bist dran. Jetzt bin ich gespannt.

LK: Ich ärgere mich immer über den extremen Kontrast zwischen Sprachen. Ich liebe englische Wörter wie „lackadaisically“. Das heißt dann auf Deutsch schnöde „lustlos“. Kann ich da nicht ein Wort finden, das genauso klingt und bei mir eine ähnliche Wirkung hervorruft? Oder genau, das hatte ich neulich auf Instagram: das allgegenwärtige englische „honeysuckle“. Da stimmt der Klang des Wortes mit dem Duft der Blume überein … so süßlich und schön. Und auf Deutsch heißt es einfach „Geißblatt“. Maximal hart im Klang, ein dermaßen starker Kontrast. Das finde ich faszinierend, wie essenziell diese Ebene beim Übersetzen ist, über die die meisten Menschen wahrscheinlich nie nachdenken. Dass eine Eins-zu-Eins-Übertragung eben nicht möglich ist, weil bei jedem Wort noch so viel mitschwingen kann, was dann ebenfalls transportiert werden muss; oder sollte, im Idealfall.

SJ: Manchmal hat man bei Büchern mit viel Landschafts- und Naturbeschreibungen tatsächlich den Eindruck, dass einige der Pflanzen da hauptsächlich wegen ihres schönen Namens stehen.

JPL: So viele Mikroentscheidungen hinter jedem Wort! Was können wir denn als Rezensent*innen tun, um auch euch so ein bisschen Sichtbarkeit zu verleihen? Oder um eure Arbeit zu würdigen?

LK: Das ist ein sehr schönes Anliegen. 

SJ: Auf jeden Fall. Ich glaube, sie überhaupt wahrnehmen. Man ist erstmal von Grund auf bescheiden als Übersetzer*in. Dass das überhaupt jemand bemerkt, finde ich immer schon toll. Weil es oft genug einfach heißt „Autorin XY hat eine wunderbare Sprache gefunden“, aber das konkrete Wort, das im Deutschen dasteht, was die*der deutsche Leser*in liest, kommt ja von der*dem Übersetzer*in.

LK: Ganz genau. Also, dass man sich immer dort, wo man die Sprache, den Klang und den Stil lobt, bewusst macht, dass da ein zweiter Kopf beteiligt war, durch den das alles geflossen ist. Und den dann im besten Fall auch einfach benennt. Also es reicht ja schon, wenn man die Sprache von der Autorin UND der Übersetzerin lobt.

Sj: Was natürlich richtig toll wäre, wäre es, sich tatsächlich das Original anzugucken. Das wäre jetzt nur on top, zum Beispiel im Englischen, wenn man wirklich qualifizierte Übersetzungskritik machen möchte. Was ich aber z.B. auch fair fände: Oft werden wir dann bemerkt, wenn jemand meint, er oder sie hätte einen schlimmen Fehler gefunden. Das kann selbstverständlich sein, dass mal ein Fehler drin ist, aber ich finde es dann immer sehr unschön, wenn das dann so abgekanzelt wird mit „Die Übersetzung ist voller Fehler“. Paff. Man sollte nicht alles an einer Stelle festmachen, die vielleicht noch nicht hundertprozentig optimal gelöst ist. Das passiert nicht oft, aber das sind dann manchmal die Beispiele, wo man denkt „Ach, okay, und DA fällt dir auf, dass es eine Übersetzung ist!“

LK: Das ist einfach das Dilemma, dass wir so lange unsichtbar sind, wie wir gut übersetzen. Erst, wenn es dann nicht mehr gut ist, dann sticht es ins Auge. Wo es holpert, werden wir bemerkt. Aber wenn sich die Rezensent*innen genau das klar machen, dass eine sehr gute Übersetzung die ist, die man nicht bemerkt, dann ist schon mal viel getan.

JPL: Das werden wir versuchen, zu berücksichtigen! Das Thema Sichtbarkeit – du, Lisa, hast dafür ja Instagram für dich entdeckt. So bin ich auch auf dich gestoßen. Neben den Kuchenbildern.

LK: Mit denen locke ich die Leute an und schiebe ihnen dann Übersetzungscontent unter … Nein ich glaube einfach, wenn wir uns nicht selbst sichtbar machen, dann wird es niemand tun.  

SJ: Gute Taktik.

JPL: Hat bei mir ja funktioniert! Es ist schade, dass ihr dermaßen untergeht, obwohl es im Literaturbetrieb ohne euch nicht laufen würde.

SJ: Deshalb wünschen wir uns ja, dass wir standardmäßig auf dem Buchcover stehen. Immerhin stehen wir jetzt in der Titelei, sind nicht mehr im Impressum versteckt. Aber es würde vorn natürlich mehr auffallen, damit vielleicht auch bei noch mehr Menschen dieser Denkprozess einsetzt. „Ah, okay. Übersetzt von …Warum soll ich das wissen?“ Damit würden wir ein stärkeres Bewusstsein dafür schaffen, dass wir auch Autor*innen dieser Texte sind. Aber das nicht so einfach durchzusetzen. Die Verlage wollen das nicht oder reden sich raus mit „Auf dem Cover ist kein Platz und das zerstört die Gestaltung”.

JPL: Ihr habt doch aber alle, glaube ich, nicht so ewig lange Namen, dass sich die paar Buchstaben nicht noch einfügen ließen…

LK: Sollte man meinen. Aber es gibt erstaunlich hartnäckige Argumente dagegen.

Zum Abschluss seid ihr zum Träumen eingeladen: Gibt es eine*n Wunschautor*in, die*den ihr gerne mal übersetzen würdet, als Krönung eurer Übersetzerinnenkarriere sozusagen?

LK: Bei mir geht da sofort die solidarische Lampe an. Die meisten Autor*innen haben Stammübersetzer*innen und denen würde ich sie nicht wegnehmen wollen. Ich bin aber auch einfach immer neugierig auf neue Entdeckungen. Es gibt so viele tolle Stimmen, die auch übersetzt werden wollen.

SJ: Absolut. Also Lisas Argument vorausgeschickt: Ein Autor, den ich tatsächlich sehr mag, ist T.C. Boyle. Aber wenn man den einmal hat, schafft man aber wahrscheinlich nicht mehr viel anderes; ich weiß gar nicht, ob ich das wollen würde. Aber der wäre natürlich schon extrem cool, auch wenn er in festen Händen ist und da er auch gern bleiben soll. Im Zuge meines Französischstipendiums habe ich aber eine Autorin entdeckt, deren Debüt in Frankreich ein Bestseller war, Maud Ventura. Mon mari hieß das Buch. Ich fand es großartig und habe mich gewundert, dass es in Deutschland offenbar kein Verlag gekauft hat. Aber vielleicht wäre es den Deutschen zu abgründig oder zu verquast und skurril. Ihr Ton hat mich auf jeden Fall etwas an Miranda July erinnert. Von Maud Ventura kommt im Herbst ein Nachfolger heraus, auf den bin ich total gespannt.

LK: Du hast ja schon so viele coole Autorinnen. Das ist schon ziemlich traumhaft.

SJ: Das ist es tatsächlich. Ich mache jetzt auch erst mal eine kleine Pause. Mir geht es jetzt auch gerade nicht darum, etwas Neues an Land zu ziehen. Aber trotzdem habe ich natürlich die Augen offen. Als ich diese Ventura angefangen hat zu lesen, habe ich gedacht, das würde ich total gern übersetzen, wenn ich Zeit hätte. Aber irgendwann habe ich ja wieder Zeit.

JPL: Den Namen werde ich mir auf jeden Fall mal merken. Ich kann überhaupt kein Französisch, insofern….

LK: …muss Stefanie das übernehmen.

JPL: Es wartet auf dich, bis du wieder Zeit hast.

SJ: Mal sehen. Aber das hat jetzt tatsächlich viel Spaß gemacht.

JPL: Oh ja! Es ist schön, dass ihr Zeit gefunden habt, den Leser*innen des Rezensöhnchens und mir einen Einblick in eure Sprachkunst zu geben!

Dieses Gespräch wurde am 18.06.2024 von Jana Paulina Lobe geführt.

Kurzporträts:

Foto: privat

Lisa Kögeböhn

  • Übersetzerin u.a. von Coco Mellors, Kevin Kwan
  • Übersetzt am liebsten: Junges, Feministisches, ironisch-hintergründige Dialoge.
  • Erstes Werk: You know me von Robbie Williams/Chris Heath
  • Zeigt auf ihrem Instagram-Account, dass sie nicht nur am Schreibtisch, sondern auch am Ofen eine Künstlerin ist

www.lisakoegeboehn.de

www.instagram.com/koegeboehnsche/

Foto: © Caroline Schreer

Stefanie Jacobs

  • Übersetzerin u.a. von Miranda July, Lauren Groff
  • Übersetzt am liebsten: gehobene Belletristik, die etwas Besonderes in der Sprache hat
  • Mehrere Gastdozenturen an den Universitäten Düsseldorf und Wuppertal
  • Erstes Werk: Unentschlossen (Indecision) von Benjamin Kunkel
  • Hört noch immer gerne ABBA

www.stefanie-jacobs.eu

https://www.instagram.com/wordartlit

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