Edgar Allan Poes Der Fall des Hauses Usher neu erzählt
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CW: Autopsie, Fleischwunden, Mord, Pilzbefall
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„Tote laufen nicht herum“
1890. Der gallazische Kriegsveteran Alex Easton wird nach Ruravien zur im Sterben liegenden Jugendfreundin Madeline und ihrem Bruder Roderick gerufen. Zwar ist Madeline mit einer Krankheit diagnostiziert, doch seit sie beinahe ertrunken ist, ist diese offenbar nicht das Einzige, was an ihr zehrt. Das Geschwisterpaar scheint im Haus der Ushers festzusitzen – einem Ort, der ihnen langsam das Leben entzieht.
„Man sagt, Pilze sprießen dort, wo der Teufel wandelt“
Bereits von Anfang an wirkt die Umgebung des Hauses Usher auf Alex außerordentlich trostlos. Wald, Pilze, ein leuchtender See. Hasen, die sich nach ihrem vermeintlichen Tod ritusartig bewegen. Die ungemütliche Atmosphäre spitzt sich zu und die Geschehnisse werden immer seltsamer. Auch Alex spürt zunehmend, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Immer unheimlicher erscheint Madeline bei ihren nächtlichen Begegnungen mit Alex – überzogen von feinen, weißen Härchen, die bei Berührung an Alex haften bleiben, spricht sie in einer Stimme, die überhaupt nicht nach ihr selbst klingt. Das Buch ist gespickt mit Schreckensmomenten, die Leser*innen geschockt ein- und angewidert wieder ausatmen lassen.
Zwischen Horror und Geschichtsstunde
Doch obwohl Horror das Buch immer weiter durchdringt, baut sich die Spannung erst langsam auf. Denn es wird sich viel Zeit genommen, die Hintergründe des Landes Gallaziens, in dem das Buch spielt, seine Sprache, Kultur und Geschichte zu beschreiben. So erfahren Leser*innen beispielsweise, dass Gallazisch nicht nur eigene Pronomen für Steine und Gött*innen, sondern auch für Soldat*innen besitzt. Daher wird Alex im Text durch die Pronomen ka/kan repräsentiert. Diese Passagen zu Gallazien tragen stark zur Sympathie des Buches bei, auch wenn sie dem Ganzen gleichzeitig das Tempo rauben. Einen ähnlichen Effekt hat Alex als Erzähler, denn ka versucht immer wieder, die Geschehnisse mit Humor zu nehmen und steuert ironische Kommentare bei.
Der Fall des Hauses Usher (T. Kingfisher’s Version)
Bei wem bei den Namen Madeline und Roderick Usher Die Glocken (von Edgar Allan Poe) läuten, liegt richtig. Denn bei Was die Toten bewegt handelt es sich um eine Neuerzählung von Poes Kurzgeschichte Der Fall des Hauses Usher. T. Kingfishers Version ist jedoch keine vollständige Neuerfindung der Geschichte, sondern eher eine Vertiefung. Die Autorin selbst schreibt, sie wolle Antworten geben, die Poe uns in seiner Kurzgeschichte verschwieg. Dabei bringt T. Kingfisher neue Aspekte ein und kombiniert so das Ursprungswerk und neue Motive zu einem kreativen Ganzen.
An dieser Stelle muss einmal die Aufmachung des Buchs mit seinen omnipräsenten Pilzillustrationen erwähnt werden, die dazu beitragen, dass T. Kingfishers Was die Toten bewegt mit seiner düsteren, pilzüberwucherten Atmosphäre das perfekte Buch für einen regnerischen Herbstabend ist.
von Jolanda Hückl
T. Kingfisher
Was die Toten bewegt
Aus dem Englischen von Elena Helfrecht
Cross Cult Entertainment 2024
192 Seiten
20,00 Euro
ISBN 978-3-9866645-7-2