Wissenschaftlich entführt in die Anderwelt
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Wir kennen sie als Morgan le Fay, als Titania und Oberon, Tinker Bell, Galadriel oder gar Dobby: Elfen und Feen. Gewöhnlicherweise begegnen sie uns in Sagen und Mythen, insbesondere aber in mannigfaltiger Gestalt im Fantasyroman. Matthias Egeler nimmt sich in Elfen und Feen. Eine kleine Geschichte der Anderwelt somit eines Novums an: Die wissenschaftliche Betrachtung dieser Wesen.
Sein Ansatz ist, einen Streifzug durch die Kulturgeschichte von Elfen und Feen vom Land über die mittelalterlichen Höfe bis in die Städte zu bieten, angefangen bei den Mythenursprüngen während der Besiedlung Islands im neunten Jahrhundert bis in die Gegenwart. Egeler, der als Professor für Altskandinavistik an der Goethe-Universität Frankfurt lehrt, nimmt dabei sowohl den Volksglauben an die Wesen in den Blick als auch stets deren Ausformung und vor allem Ausdifferenzierung in Literatur und Kunst. Verfolgt wird dabei nicht der Anspruch auf Vollständigkeit, sondern die Skizzierung eines Grundrisses der kulturgeschichtlichen Entwicklungen. Dabei geht er vor allem der Frage nach, wie es dazu kam, dass wir – vom popkulturellen Verständnis geprägt – Elfen und Feen gemeinhin unterscheiden, dass also ein Nebeneinander der Vorstellungen mächtiger, ambivalenter Wesen der Anderwelt auf der einen Seite und zierlicher Blumenfeen mit Flügeln auf der anderen Seite herrscht.
Interdisziplinär fundiert und unterhaltsam literarisch
Positiv ist insgesamt die wissenschaftliche Fundiertheit und Kompetenz hervorzuheben, weshalb dieser Titel auch hervorragend als Quelle für eine eigene nähere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Elfenmotiv fungieren kann. Elfen und Feen verwehrt sich zugleich aber einem allzu chiffriert-wissenschaftlichem Duktus, der es sehr angenehm macht, in die Thematik einzusteigen und ihr über etwa zweihundert Seiten ohne Langeweile zu folgen. Dafür sorgen insbesondere die passagenhaft paraphrasierten Texte, die von Feen und Elfen zeugen, seien es Sagen, mittelalterliche Texte, Theaterstücke oder Romane, die dem Buch etwas literarisch Leichtes verleihen und es zu einem angenehmen und unterhaltsamen Leseerlebnis machen.
Matthias Egeler gelingt mit diesem Sachbuch eine ausgewogene Betrachtung dieser Wesen, wobei er viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und Interessensbereiche tangiert, wie etwa die nordische und keltische Mythologie, die Mediävistik, die Frühe Neuzeit, die Romantik, die Malerei und selbstverständlich die moderne Literatur der Phantastik, um nur einige zu nennen. Spannend ist dabei nicht nur die Ambivalenz des Elfenbilds selbst, sondern auch die Rezeption dessen in der Gesellschaft, die von der Hexenverfolgung bis hin zum „Berufsbild“ der auf das kleine Volk spezialisierten Elfenbeauftragten reicht. Ein besonderes Augenmerk liegt auch stets darauf, die gesellschaftliche Funktion des Feenglaubens als Artikulation von Sehnsüchten zu entschlüsseln.
Insgesamt bietet Elfen und Feen eine kurzweilige Sachlektüre, die dazu einlädt, mehr hinter Phänomene des Phantastischen und deren Entwicklung zu blicken, und die daher eine ausgesprochene Empfehlung ist – nicht nur für Phantastikbegeisterte.
von Vanessa Wagner
Matthias Egeler
Elfen und Feen. Eine kleine Geschichte der Anderwelt
C.H.Beck 2024
192 S.
20,00 Euro
ISBN 978-3-406-81366-5