Vom Festklammern und Abrutschen
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Juices – Flüssigkeiten, genauer: Tränen und Schweiß. Schweiß aus Angst und aus Anstrengung. Das sind die Grundlagen für Ewe Benbeneks zweiten dramatischen Text. Er handelt von postmigrantischen Identitäten und der Frage, wie man darüber erzählen soll. Unter der Regie von Branko Janack findet Benbenek in Juices einen Weg dafür, der mitreißend, ausdrucksstark und eine beachtliche Leistung ist.
„Sprichst du, BRD, denn deine Solidarität nur an die, die gut reinpassen?“
Julia Bartolome, Matthias Luckey und Sasha Weis spielen drei Stimmen, Kinder sogenannter Gastarbeiter*innen. Sie sollen aufsteigen, sollen sich hinaufschwingen auf den Kronleuchter, festklammern und ja nicht abrutschen, denn sie können „im schlimmsten Fall nur auf sich selbst zurückfallen“.
Benbenek tariert eine Fülle an Motiven aus, die die Interdependenzen von postmigrantischer Identität eindrücklich transportieren: Existenzstress, der von Generation zu Generation weitergegeben wird; „Angstschweiß, der dich beim Festklammern schon wieder abrutschen lässt“; die Diskrepanz zwischen working class porn und authentischer Geschichtsschreibung durch Nachkommen; „Lücken und Risse“ zwischen Generationen, weil die Tochter die Sprache der Mutter nicht (mehr) spricht; welche Ästhetik der (Post-)Migration erlaubt ist und wer sich überhaupt zu diesem Urteil erhebt; Schuldzuweisungen und letztlich das Ausloten von Privilegien und Ansprüchen, wenn Ausruhen, Entspannung und Selfcare als Luxus gelten.
Benbenek transferiert und zieht die BRD in die Verantwortung und zur Rechenschaft: Marshallplan, vermeintliches Wirtschaftswunder, Anwerbestopp und EU-Osterweiterung, aber da „spricht sie nicht so gerne darüber, die BRD“.
„Wir, die uns aufgeschwungen haben, wir, die Vorfahr*innen haben, wir, die Vorfahr*innen haben, die keinen Aufschwung hatten.“
Die drei namenlosen Figuren kreieren einen Bewusstseinsstrom, der die Machtstrukturen von Sprache zur Schau stellt. Die auf den ersten Blick einfachen Bilder wie das des Kronleuchters entfalten ihren tiefen Resonanzboden im Gespräch der Stimmen. Ein subtiles, aber umso wirkungsvolleres Changieren mit einem adressierten „S/sie“, das Publikum, Gesellschaft und BRD ist; das mannigfaltige Wiederholen und gegenseitige Fortführen von Sätzen und bedeutungsvolle Sprechchöre geben dem Stück eine Lebendigkeit, die begeistert.
Das Bühnenbild von Lugh Amber Witting ist minimalistisch, fast karg gehalten. Eine schwarze Dunkelheit umgibt einen Würfel aus Metallgestänge, der zum Mittelpunkt der „Klage und Anklage“ der Schauspielenden wird. Lediglich weiße Leuchtstangen erhellen die Bühne und ein durchsichtiger Bühnenvorhang schafft Räume und Distanzen. Durch diese reduzierte Umgebung wird verstärkt die Aufmerksamkeit auf das Gesagte, auf die Inhalte gelenkt. Der Fokus auf die Sprache, auf die Aussagen, auf die Botschaften, die lesbar werden, allein dadurch, wie etwas gesagt wird, zeichnet das Stück besonders aus.
„Wir, die uns immer nur selbst halten müssen.“
Benbenek gelingt ein überragendes Werk der Dramaturgie, das so eindringlich wie unterhaltsam ist. Durch das schnelle Tempo, die mitreißende Körperlichkeit der Bühnenpräsenzen und das unfassbar intelligente sowie geschickte Spiel mit Sprache hallt Juices noch lange nach.
Um zu sehen, wie Benbenek Schaumbad, Spargel und die BRD in postmigrantische Dimensionen setzt und damit absolut brilliert, ist ein Besuch in Juices ausdrücklich zu empfehlen!
Weitere Aufführungen finden am 22.01., 31.01., 05.02., 27.02., 09.03., 12.03., 27.03. und 26.06.2025 jeweils um 19:30 Uhr in den Kammerspielen des Staatstheaters Nürnberg statt.
von Michaela Minder
Bild links (v.l.n.r.): Sasha Weis, Julia Bartolome, Matthias Luckey, Bild rechts (v.l.n.r.): Julia Bartolome, Sasha Weis, Matthias Luckey
Bild links (v.l.n.r.): Sasha Weis, Matthias Luckey, Bild rechts (v.l.n.r.): Matthias Luckey, Sasha Weis, Julia Bartolome
Bild links (v.l.n.r.): Sasha Weis, Julia Bartolome, Matthias Luckey, Bild rechts (v.l.n.r.): Julia Bartolome, Sasha Weis
Alle Fotos: © Staatstheater Nürnberg / Konrad Fersterer