Über das Bankieren
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CW: Tod
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Was kann Literatur? Sie kann Geschichten schaffen, die intensiver und echter sind, als das wirkliche Leben je sein könnte. In gewisser Hinsicht geht es dem Protagonisten in Patrick Holzapfels Debütroman Hermelin auf Bänken so, wie es dem Leser auch gehen kann. Der junge Student entflieht oder besser gesagt entgleitet seinem Alltag; Universität, Freund*innen und Bekannte rücken immer mehr in den Hintergrund. Der einzige Unterschied ist das Medium: Während der Leser dem Alltäglichen durch die Literatur entflieht, geschieht das im Roman auf andere Weise, nämlich durch das Bankieren. So wird das bewusste Verweilen auf Bänken genannt, während man dabei aufmerksam die Umgebung beobachtet.
Auf Spurensuche
Im Laufe des Romans begegnen dem Leser mehrere Spurensuchen. Zum einen ist da die Suche des Protagonisten nach dem „Hermelinkönig“, einem Obdachlosen im Hermelinmantel, den er ausfindig machen möchte. Wir folgen ihm durch verschiedene Schauplätze Wiens und lernen dabei die Stadt aus Sicht des Bankierenden kennen. Gleichzeitig vollzieht sich eine innere Suche, eine Suche des Protagonisten nach sich selbst, die immer wieder durch Erinnerungen an seine verstorbene Mutter gefärbt ist. Diese Episoden zur Mutter sind nicht kohärent mit der Erzählung verwebt, sondern unterbrechen wiederholt die Handlung, ähnlich wie die reale Trauer den Alltag durchbricht. Zum Ende des Romans wird der Umgang mit dem Tod der Mutter mit der Suche nach dem Hermelinkönig verknüpft, was aber nichts daran ändert, dass sich während der Lektüre die Verbindung beider Teile nicht ausreichend herstellt. Verwirrung entsteht und die Episoden zur Mutter bleiben bruchstückhaft.
Über das Erzählen
Eine*n gute*n Autor*in macht aus, dass er*sie mit Auge fürs Detail beobachtet. Diese Qualität demonstriert Holzapfel in seinem Debütroman zweifellos. Seine wahren und unscheinbaren Beobachtungen berühren, was erst durch die klare Sprache in kurzen aneinandergereihten Hauptsätzen ermöglicht wird. Doch die Sprache ist ein zweischneidiges Schwert. Bei den ausgezeichnet beobachteten Passagen treffen die kurzen Hauptsätze geradewegs ins Herz. Die kurzen Sätze der weitaus zahlreicheren Passagen, die sich allerdings nicht derart auszeichnen, treffen nicht nur ins Leere, sondern zerhacken förmlich den Lesefluss, was den Gesamteindruck merklich trübt. Neben Holzapfels Sprache ist aber auch die Kritik eine ambivalente. Denn trotz der negativen Aspekte überwiegt am Ende der Drang, selbst zum Bankier zu werden.
von Lavinia Richter

Patrick Holzapfel
Hermelin auf Bänken
Rohstoff Verlag 2024
166 Seiten
12,00 Euro
ISBN 978-3-7518-7025-2
(Eigenexemplar)