Ruth-Maria Thomas – Die schönste Version
Ruth-Maria Thomas – Die schönste Version

Ruth-Maria Thomas – Die schönste Version

„Wie im Kino, […] auf einmal alles dunkel, und man hat es gar nicht richtig gemerkt.“

CW: Häusliche Gewalt, Vergewaltigung

In Die schönste Version desillusioniert Ruth-Maria Thomas die romantische Liebe, treffend tragisch und die Leser*innenschaft von Beginn an auf die literarische Folter spannend. Weil von Beginn an klar ist, dass Jella Yannick wegen häuslicher Gewalt anzeigt. Weil Yannicks Umgang mit Jella fast bis in die Mitte des Buches hinein nicht überaus problematisch scheint, dann zur gewaltsamen Dystopie changiert und zwischen Gefühlsintensität und Gewalt oszilliert. Die Beziehung zwischen der eloquenten Jella und dem Kunststudenten Yannick ist einerseits intensiv schön, dann aber schlagartig gewaltvoll.

„Unser Herbst war bis in den November hinein ein Jahrhundertsommer.“

Die schönste Version beginnt mit Tag 1, dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit Yannick und einer Zeugenaussage bei der Polizei wegen häuslicher Gewalt und endet mit Tag 10. Thomas verfasst den Plot anachronistisch und arbeitet mit reichlich Analepsen. In denen erfahren die Leser*innen über das frühere Leben Jellas, ihre engsten Frauen-Freundschaften, erste Erfahrungen mit Männern, Vergewaltigungen. Wo der*die Leser*in bereits die ungeschönte Wahrheit sieht, sieht Jella ihr Leben noch aus der Perspektive einer unerfahrenen, heranwachsenden Frau in einer patriarchalen Welt.

„Wird schon wieder werden“ – eben nicht

Sukzessive verfängt sich Jella nach eingangs großem Versprechen der romantischen Liebe selbst im eigenen Käfig: Der gemeinsamen Wohnung mit Yannick. Sie setzt sich zur Wehr, wird ausfällig – kratzt und schreit, provoziert, verliert die Fassung. Thomas arbeitet in ihrem Roman den Genderaspekt einer heterosexuellen Beziehung fein heraus: Mann ist bei einem physischen oder verbalen Angriff überfordert, Frau muss um ihr Leben fürchten. Das schafft die Autorin mit authentischer Sprache und tiefer, pointierter Figurenzeichnung. Zwischen Nylonstrümpfen und Freund*innen wie Shelly, die zunächst wie Herrschende über dem Patriarchat mit ihrer Sexualisierung spielen, sich im Endeffekt aber doch dem misogynen Korsett biegen (müssen).

„Yannick, ich habe keine Luft mehr bekommen, du hast mich so fest –
Jetzt starrt er mich an, ungläubig, als wäre ich verrückt.
Du hast so geschrien Jella, Du hast das ganze Haus zusammengeschrien.“

Der schmale Grat zwischen fantastischer Gefühlsekstase und häuslicher Gewalt bestimmt das Leben Jellas. Wo ein „Nein“ nicht akzeptiert wird, wo ein kleines Momentum als großes romantisches Liebeskonstrukt aufgespannt wird, in dem die schmerzlichen Risse in der Erinnerung verblassen oder einfach hingenommen werden, teils aus Scham.

Dass etwas falsch läuft in der eingeimpften patriarchalen Liebe, dass die Liebe misogyn ausgerichtet ist. Dass ein „mein Freund hat mich gewürgt“ eben nicht nur ein Würgen ist, das zur Anzeige gebracht und nicht selten wieder zurückgezogen wird, sondern den Opfern ein mieses Bein stellt. Ein mieses Bein insofern stellt, überhaupt sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, umgeben von Menschen, die kaum glauben können, dass es passiert ist oder gar nichts davon wissen wollen. Das ist es, was die Autorin thematisiert, die nicht umsonst bereits ihre siebte Auflage binnen weniger Monate verzeichnet.

„Es wird die schönste Version dieses Moments sein, vollkommen schön, wie altes Hollywood, mit Himbeersauce.“ Im Traum vielleicht. Mit weiblicher Sozialisation im Patriarchat ist nicht gut Kirschen essen. So kräftig aufgezeigt anhand Jella Nowak gelingt der Autorin und Sozialarbeiterin Ruth-Maria Thomas ein kostbares Romandebüt!

Die Autorin wurde mit Die schönste Version für den deutschen Buchpreis 2024 sowie den aspekte-Literaturpreis 2024 nominiert.

von Miriam Mösl

Ruth-Maria Thomas
Die schönste Version
rowohlt 2024
266 Seiten
24,00 Euro
ISBN: 978-3-498-00695-2

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