Eine Freundschaft auf dem Prüfstand
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CW: Depressionen, Drogenkonsum, Fehlgeburt, Sexueller Missbrauch, Tod, Trauma
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Rachel ist Anfang 20, als sie in einer kleinen Buchhandlung in der irischen Stadt Cork auf James trifft. Ihr neuer Arbeitskollege ist charismatisch und extravagant, eine Persönlichkeit für sich, die Rachel sofort in ihren Bann zieht.
Was im gemeinsamen Arbeitsalltag zwischen Kundengesprächen und dem Einräumen der Bücherregale beginnt, endet schon bald in einer tiefen und innigen Freundschaft der beiden. Es dauert nicht lange, bis Rachel und James ein unzertrennliches Duo werden und sich schließlich sogar dazu entscheiden, Mitbewohner zu werden und in ein altes, heruntergekommenes Haus in Cork zu ziehen.
Die Freundschaft zwischen Rachel und James ist ehrlich, bedingungslos und vor allem eines: unerschütterlich. Gemeinsam gehen sie durch dick und dünn, meistern die kleinen Hürden des Alltags, überwinden den größten Liebeskummer und trotzen den schweren Folgen der Rezession, die Irland gerade fest im Griff hat und oft für gähnende Leere in der Haushaltskasse sorgt. Sogar als Rachel beginnt, für Ihren Dozenten Dr. Frederick Byrne zu schwärmen, scheut James keine Mühen und möchte Rachel dabei unterstützen, ihren waghalsigen Plan in die Tat umzusetzen und Dr. Byrne zu verführen.
Doch schon bald holen die Höhen und Tiefen des Alltags Rachel ein. Sie kämpft um ihren Job, um ihre Familie, um ihre erste große Liebe. Und am meisten kämpft Rachel mit sich selbst, mit der Frage, wer sie sein möchte und damit, was die Freundschaft zu James eigentlich für sie und ihr Leben bedeutet.
„Innerhalb eines Monats wurde ich von James auf geradezu molekularer Ebene eingenommen, und meine Persönlichkeit formte sich um ihn, wann immer es Raum dafür gab.“
Auf knapp 400 Seiten skizziert Caroline O’Donoghue authentisch und ungeschönt all die turbulenten Momente des Erwachsenwerdens, überschattet von der großen Finanzkrise in Irland. Über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg begleitet der*die Leser*in dabei Rachels Leben – durchzogen von Kommentaren und Einwürfen der Gegenwartsrachel, die erahnen lassen, welche Hürden der Protagonistin im Laufe des Romans noch bevorstehen.
Besonders die Personenkonstellation um Rachel, James und Dr. Byrne verleiht der Geschichte eine ganz eigene Dynamik und macht den Roman, ohne überzogene Cliffhanger, zu einem unerwarteten Pageturner.
Mit feinem Gespür webt O’Donoghue ein vielschichtiges Geflecht aus charismatischen Figuren, deren Begegnungen untrennbar miteinander verbunden sind und Rachels Lebensweg entscheidend formen. Die Charaktere sind dabei präzise ausgearbeitet und in sich selbst so nuanciert gestaltet, dass niemand im Roman eindimensional oder gar überflüssig erscheint.
Vor allem die Frage nach der Bedeutung von Freundschaft und Liebe ist hierbei von zentraler Bedeutung und regt zum Reflektieren an.
Durch unerwartete Wendungen bleibt die Spannung im gesamten Roman auf einem durchweg hohen Niveau, was das Buch zu einer unaufhörlich fesselnden Lektüre macht.
Die Autorin beweist hier eindrücklich, wie spannend ein vermeintlich durchschnittliches Leben sein kann und, dass die wilden Zwanziger ein Abenteuer für sich sind, die in all ihren Irrungen und Wirrungen eine eigene Geschichte mehr als verdienen.
von Margherita Ragucci

Caroline O’Donoghue
Die Sache mit Rachel
Kiepenheuer & Witsch
400 Seiten
24,00 Euro
ISBN: 978-3-462-00385-7