Joshua Oppenheimer – The End
Joshua Oppenheimer – The End

Joshua Oppenheimer – The End

Verdrängte Vergangenheit trifft bunt getünchte Gegenwart


CW: Bildliche Darstellung von Gewalt und Waffen, Trauer

Infolge der lebensfeindlichen Zustände auf der Erde floh eine kleine Gruppe von Menschen vor knapp zwanzig Jahren unter die Erde, wo sie seitdem in einem Bunker inmitten eines Salzbergwerks lebt. Das ist die Ausgangssituation des neuen Films The End von Joshua Oppenheimer, einem Endzeit-Musical zwischen Idylle und Apokalypse, das kürzlich seinen Start in den deutschen Kinos feierte.
Inmitten der an eine düster-funkelnde Eislandschaft erinnernden Umgebung des Bergwerks wirkt der farbenfroh gestaltete Bunker, unter anderem mit Kunstwerken wie von Degas oder Monet, wie eine Oase. Der Sohn (George MacKay), der der Jüngste ist, kennt die obere Welt nur durch Erzählungen der anderen. Die anderen – das ist die Gruppe aus seinen Eltern (Tilda Swinton und Michael Shannon), einer Sterneköchin und langjährigen Freundin (Bronagh Gallagher), einem Butler (Tim McInnerny) und einem Arzt (Lennie James). Kontraste zu der mit warmem Licht und Farbakzenten durchfluteten Innenwelt voller Geschichtsstunden und Kunst bilden die Schießtrainings in den weißgrauen Tunneln des Bergwerks oder die Survivalproben unter Zeitdruck mit Atemmaske.
Dieses Dasein wird jäh unterbrochen, als ein Mädchen (Moses Ingram) auftaucht, die wie so viele andere einen Ausweg vor den unmenschlichen Lebensbedingungen oberhalb sucht. Als erste von vielen darf sie bleiben, was bei den Gruppenmitgliedern nach über zwanzig Jahren zur ersten richtigen Konfrontation mit der Realität von oben führt. Verdrängte Geheimnisse und Erinnerungen kommen an die Oberfläche und vor allem der Sohn, sichtbar geblendet und ideologisiert durch seine Eltern, wird sich schmerzhaft der Eindimensionalität bewusst, die sein komplettes Aufwachsen geprägt hat.

„Once the world was full of strangers, we kept our distance, so many dangers … now we have each other, we are family …“

Neben dem bewussten Einsatz von Lichtern und Farben, der sich durch den gesamten Film zieht, ist es der bemerkenswerte Gesang von Moses Ingram, der den Film zu einer unmittelbar sinnlichen Erfahrung macht. Das Spiel mit warmem Licht, sowohl inner- als auch außerhalb des Bunkerkomplexes symbolisiert die Scheinwelt, die die Gruppe sich dort unten aufgebaut hat, die verblendete Sicht auf das Zurückgelassene und das eigene Zutun, und das Verdrängte, das man in die Dunkelheit verbannt hat. Die Farben des Salzbergwerks spiegeln sich im Taubenblau und Warmweiß von Wänden, Kissen und Kleidungsstücken wider und gerade Tilda Swintons Maske, von Barbara Kreuzer und Melanie Krieg, und Garderobe von Frauke Firl sorgt durchgängig für leuchtend rote und blickfangende Farbtupfer.
Oppenheimers Werk präsentiert dem Publikum eine mögliche, dystopische Zukunft, fokussiert sich aber vor allem auf die individuelle Reflektion von Schuld und Verantwortlichkeit. Das düstere Setting der tiefen Abgründe menschlicher Psychologie kontrastiert er mit der oben benannten Beleuchtung sowie tänzerischen Einlagen ganz im Stil der Unterhaltungs-Musicals aus der Goldenen Ära Hollywoods. Wer sich gerne Musicals, aber auch zum Nachdenken anregende Filme ansieht, ist hier mit einem Kinobesuch gut beraten.

Die nächsten Vorstellungen in deutscher Synchronisation finden am 25.04., 26.04., 27.04., 28.04. und 29.04. im LICHTSPIEL Bamberg statt.

von Nike Kutzner


Joshua Oppenheimer
The End
Deutsche Synchronisation
Dänemark, Deutschland, Irland, Italien, Großbritannien, Schweden 2024
149 min
FSK 12

[Bilder: ©Neon]

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