Alina Bronsky – Pi mal Daumen
Alina Bronsky – Pi mal Daumen

Alina Bronsky – Pi mal Daumen

„Mathematik hält dich im Leben.“

Moni, Mitte fünfzig und Großmutter von drei Enkelkindern, ist im Hörsaal vor allem eines: absolut fehl am Platz. Zumindest wenn es nach dem sechzehnjährigen, hochbegabten Oscar geht, für den das Mathematikstudium eigentlich nur Leidenschaftsmathematiker*innen und angehenden Nobelpreisträger*innen vorbehalten sein sollte. Und doch treffen in dieser einen Erstsemestervorlesung zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während sich in Oscars Kopf Zahlen und Formeln wie Puzzlestücke aneinanderreihen, türmen sich zu Monis Füßen Zookekse und Wechselklamotten ihrer Enkelkinder in einer großen Ikeatüte.

Monika Kosinsky ist immer auf Achse. Sie kümmert sich nicht nur wie eine Ersatzmutter um ihre Enkelkinder, sondern hält auch mit drei Nebenjobs die Familie über Wasser und erfüllt sich mit dem Mathematikstudium endlich ihren langersehnten Lebenstraum.

„Ich glaube an fast niemanden, aber am wenigsten an Sie.“

Für Oscar, der in einem gut betuchten und behüteten Elternhaus aufgewachsen ist und als Erzähler der Geschichte fungiert, ist die Mathematik kein Rätsel, wohingegen es andere Menschen immer bleiben werden. Trotz dieser Hürde und der Tatsache, dass Oscar Moni aufgrund ihrer vermeintlichen riesigen Bildungslücken für völlig ungeeignet für das Studium hält, markiert das besagte Aufeinandertreffen den Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen den beiden Studierenden. Oscar unterstützt Moni dabei, den Lernstoff zu verstehen und greift ihr bei den wöchentlichen Abgaben unter die Arme, Moni hilft Oscar dabei, im Alltag zurechtzukommen. Die beiden scheinen sich gefunden zu haben, bis Oscar beginnt, tiefer in Monis Vergangenheit zu wühlen und dabei nicht nur die neugewonnene Freundschaft zu Moni, sondern auch seine eigene akademische Laufbahn aufs Spiel setzt.

„Es gab kein größeres Vergnügen, als klüger zu werden als die frühere Version von einem selbst.“

Dass die Handlung aus Oscars Perspektive erzählt wird, spiegelt sich auch im Schreibstil des Romans deutlich wider: Seine Gedankenwelt prägt den Erzählfluss, wodurch die Handlung oft etwas sprunghaft wirkt. Kleine Details werden teils akribisch ausgeschmückt, wohingegen andere Erzählstränge ins Leere verlaufen – eben genau so, wie Oscar selbst die Welt wahrnimmt.
Um sich auf diese ungewöhnliche Erzählart einzulassen, bedarf es ein wenig Geduld, die jedoch mit einer besonderen Nähe zu Oscar belohnt wird. Die Welt aus Oscars Augen zu sehen und seinen Gedanken zu lauschen, eröffnet den Leser*innen einen ganz eigenen Zugang zur Handlung und lässt sie fast schon ein Teil davon werden.  
Es sind gerade diese Eigenheiten des Erzählstils, die der Geschichte eine unerwartete Komik verleihen. Oscars nüchterne Art sein Umfeld zu beurteilen, sorgt immer wieder für humorvolle Momente, bei denen der*die Leser*in unweigerlich schmunzeln muss. Schonungslos ehrlich und doch irgendwie charmant, schleicht sich Oscar in die Herzen der Leser*innen.

Erzählstimme mit analytischer Schärfe – und blinden Flecken


Diese nüchterne Erzählweise birgt jedoch auch Schattenseiten: Gepaart mit dem Fokus auf die subjektive Gedankenwelt des hochbegabten Jungen führt der Erzählstil dazu, dass einige Charaktere der Handlung, allen voran Monika Kosinsky, stellenweise unnahbar wirken.


Dieses Phänomen tritt auch bei einigen Nebenfiguren des Romans auf, deren Geschichte bedauerlicherweise unvollendet bleibt. So wäre es spannend gewesen, mehr über die Enkelkinder Justin, der nicht nur Oscars erster gleichaltriger Freund wird und seinen kleiner Bruder Quentin zu erfahren, welcher offenbar Monikas Faible für Mathematik geerbt zu haben scheint.

Die Geschichte um Moni und Oscar endet schließlich mit einem unvorhersehbaren Plottwist, der auf jeden Fall mit besonderer Kreativität glänzt, der Geschichte jedoch nicht zu 100% gerecht werden kann.

Trotz dieser Schwächen hinterlässt das Werk von Alina Bronsky einen überaus positiven Gesamteindruck.

Die ungewöhnlichen Protagonist*innen, das Aufeinandertreffen zweier so unterschiedlicher, gesellschaftlicher Realitäten vereint mit der humorvollen, trockenen Erzählweise, machen Pi mal Daumen zu einer unterhaltsamen Lektüre, die auch Leser*innen begeistern kann, die der Mathematik eher fernstehen.

von Margherita Ragucci

Alina Bronsky
Pi mal Daumen
Kiepenheuer & Witsch 2024
272 Seiten
24 Euro
ISBN: 978-3-462-00425-0

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