Wenn ein Traum zum Albtraum wird
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CW: Folter, Gewalt, Krebserkrankung
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Von einem Moment zum anderen findest du dich in der Welt deines Lieblingsbuchs wieder, dein Körper ist nicht mehr dein eigener, sondern gehört einer der Figuren. Das mag auf den ersten Blick wie ein wahrgewordener Traum wirken, kann sich jedoch ganz schnell ändern.
In Long Live Evil von Sarah Rees Brennan wacht die schwer krebskranke Protagonistin Rae in der anonym verfassten Buchreihe Zeit des Eisens im Körper der sogenannten „in Blut getauchten Schönheit“ auf – und die soll morgen wegen ihrer Vergehen an ihrer Stiefschwester, der Heldin der Geschichte, hingerichtet werden. Aber Rae hat ganz und gar nicht vor, sich kampflos geschlagen zu geben, denn sie muss, koste es was es wolle, an eine magische Blume gelangen. Diese kann jegliche Gebrechen, und laut der mysteriösen Dame, die sie in die Welt des Buches geschickt hat, auch ihre Krebserkrankung, heilen. Also muss sie in der Handlung des Buches mitspielen, selbstverständlich mit einigen kleinen Anpassungen: Sie will nicht nur überleben, sondern auch ihren Lieblingsship in der Geschichte verteidigen. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass Rae den ersten Band von Zeit des Eisens nie wirklich gelesen hat.
„Nur besondere Menschen wurden gerettet. Der Rest musste sich selbst einen Weg freikämpfen.“
Sarah Rees Brennan hat sich für ihre Geschichte sehr stark vom Isekai-Genre inspirieren lassen. Angelehnt an Anne Rice, mit ihrem Fokus auf die Perspektive der Bösewichte, lässt Rae es sich nicht nehmen, ihre schurkische Seite auszuleben, wobei man sie nur bedingt als wirklich bösartig bezeichnen kann.
Immer wieder kommt es zu Wechseln in der Erzählperspektive, die nicht nur allesamt spannend sind, sondern auch deutlich machen, wie sehr Rae mit ihrem modernen Verhalten aus den Regeln dieser Fantasywelt herausfällt. Schließlich gibt es hier so dick aufgetragene Charakternamen wie „die goldene Kobra“, „die Eiserne Jungfrau“ oder eben „die in Blut getauchte Schönheit“. Dadurch wirkt die Geschichte innerhalb des Buches bewusst überzeichnet und doch sind da immer wieder emotionale Einschübe von Raes Erinnerungen an die Chemotherapie, die dem Ganzen eine unerwartete, aber tief berührende tragische Note geben. Sarah Rees Brennan hatte selbst mit einer Krebserkrankung zu kämpfen und man kommt nicht umhin zu merken, wie sie diese im Buch verarbeitet hat. So schreibt sie zu Raes erster Erfahrung mit der medikamentösen Chemotherapie:
„Da umklammerte sie ihre Decke als letztes Bindeglied zu einer wärmeren Welt. Sobald sie zu Hause war, nahm sie ein sehr heißes Bad, aber da sie nun wusste, dass eine solch extreme Kälte existierte, schien es unmöglich zu sein, je wieder Wärme zu spüren.“
Long Live Evil wartet nicht nur mit humoristischen wie tragischen Charakteren auf, sondern stellt auch eine überaus gelungene Interpretation des Isekai-Genres in literarischer Buchform dar. Um herauszufinden, ob es für Rae ein Happy End gibt und wie sich die Geschichte durch ihren Einfluss verändert, wird man wohl einen Blick ins Buch werfen müssen.
von Victoria Dimeo

Sarah Rees Brennan
Long Live Evil
Aus dem Englischen von Kerstin Fricke
dtv 2024
592 Seiten
18,00 Euro
ISBN 978-3-423-26408-2