Clemens Böckmann – Was du kriegen kannst
Clemens Böckmann – Was du kriegen kannst

Clemens Böckmann – Was du kriegen kannst

„Ich war nicht schuld – oder jedenfalls nicht allein. Aber es war auch nie ganz freiwillig.“

Uta Lothner ist eine junge Möbelverkäuferin aus Zwickau, die in den 1970er-Jahren von der Stasi als inoffizielle Mitarbeiterin „IM Anna“ angeworben wird. Ihre Aufgabe: Während der Leipziger Messen Männer verführen und ausspionieren – eine perfide Verbindung von Sexarbeit und politischer Überwachung. In Was du kriegen kannst erzählt Clemens Böckmann die Geschichte von Uta, einer Frau die sowohl Täterin als auch Opfer ist.

Erzählerische Komplexität – oder strukturelles Chaos?

Böckmann wählt eine multiperspektivische Erzählweise, die Uta aus verschiedenen Blickwinkeln zeigt: durch ihre eigenen widersprüchlichen Erinnerungen, durch einen Ich-Erzähler, der sie Jahre später in einer Bar wiedertrifft, und durch nüchtern dokumentierte Stasi-Akten. Diese Struktur soll Komplexität und Authentizität erzeugen – allerdings erschwert sie in der Praxis häufig den Lesefluss. Die ständigen Perspektivwechsel, die Vielzahl an Namen, die oft unerklärten Abkürzungen und die teilweise stark geschwärzten Dokumente machen es schwierig, der Handlung klar zu folgen. Die Sprünge zwischen Zeiten und Themen wirken stellenweise unstrukturiert, was es besonders zu Beginn erschwert, in die Erzählung hineinzufinden.

Ein besonderer Aspekt der formalen Gestaltung ist die Struktur des Romans: Dieser ist nicht in klassische Kapitel unterteilt, sondern gliedert sich in mehrere größere Teile mit Abschnitten. Diese eher unkonventionelle Aufteilung verleiht dem Text eine fragmentarische Note, die mitunter das Leseerlebnis prägt. Zudem folgt der Fokus der Erzählung nicht immer erwartbaren Mustern, während manche Details ausführlich beleuchtet werden, bleiben andere, teils auch relevantere, Aspekte bewusst im Hintergrund. Insgesamt kann diese Herangehensweise dazu führen, dass das Leseerlebnis etwas erschwert wird.

 Zwar wird anfangs erklärt, dass die fragmentierte Erzählweise mit Absicht gewählt wurde, um ein Gefühl von „Echtheit“ zu vermitteln, welches zu der Protagonistin Uta und ihrer unzuverlässigen Erzählweise passt, dies kann jedoch auch zu Frustration statt Nähe führen. Es kann das Gefühl entstehen, sich durch das Buch durchkämpfen zu müssen, da teilweise der Zusammenhang fehlt oder die Informationen verstreut wirken.

Dennoch: Wenn Böckmann es schafft, einen konsistenteren Erzählfluss zu erzeugen – besonders wenn Uta über mehrere Seiten hinweg selbst zu Wort kommt – gewinnt der Roman spürbar an Kraft. In diesen Momenten entsteht ein Sog, der Nähe zur Figur aufbaut und das historische Setting emotional greifbar macht.

Wichtiger Stoff, schwere Form

Was du kriegen kannst ist ein ambitionierter und thematisch wichtiger Roman, der die moralischen Grauzonen des DDR-Systems vielschichtig beleuchtet. Doch stilistisch und strukturell stellt er hohe Anforderungen an die Leser*innen – nicht jede*r wird bereit sein, sich durch diese Komplexität hindurchzuarbeiten.

von Viola Lechner

Clemens Böckmann
Was du kriegen kannst
Hanser Verlag 2024
416 Seiten 
24,00 Euro 
ISBN 978-3-446-28121-9

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