Staatstheater Nürnberg – Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken
Staatstheater Nürnberg – Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken

Staatstheater Nürnberg – Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken

Ich bewaffne mich mit Verwundbarkeit!

CW: Abtreibung, Depression, Gewalt, Suizid, Tod

Am Freitag, den 16. Mai 2025 feierte Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken im Nürnberger Schauspielhaus Premiere. Sieben junge Darstellende gingen in einem dreistündigen Live-Film des Regisseurs Boris Nikitin durch das dämmernde Nürnberg und betraten zugleich den Raum zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Nikitins Stück basiert auf der Arbeit Dämonen mit Sebastian Nübling am Theater Basel und am Maxim Gorki Theater und zeigt ein fieberhaftes Portrait über die Generation Z.

Das Stück beginnt mit einem chronologischen Schwarz-Weiß-Film aus historischen Fotos von Nürnberg und aktuellen Bildern der Schauspielenden. Danach folgt eine kurze Ansprache von Lea Wößner ans Publikum, in der man eine Erklärung bekommt, was in den nächsten Stunden passiert. Während des anschließenden Stadtspaziergangs erzählen die Darstellenden Geschichten vom Tod, von Scheidungen, von Mobbing, von Depression und weiteren Schicksalsschlägen. Sie begeben sich im Angesicht von erschreckenden Kriegen, hitzigen Debatten und wirtschaftlichen Krisen physisch und gedanklich auf die Suche nach Halt und einem sicheren Ort in dieser Welt – so sicher, dass man sich verletzlich zeigen kann. Sie verknüpfen ihre Geschichten mit realen Orten und laden die Zuschauenden dazu ein, die Stadt mit neuen Augen zu sehen. Die Kamera, bedient von Ina Diallo und Rio Theis, lenkt das Sehen und durch gezielte videographische Effekte werden einzelne Szenen verzerrt, verdreht und verdeckt, wodurch die inhaltlichen Fragestellungen visuell verstärkt werden.

„Die Entwicklung des Individuums ist das Zentrum der Gesellschaft.“

Das Stück ringt um Authentizität, Verwundbarkeit und Ehrlichkeit – kann diesem Anspruch letztlich aber nicht vollständig gerecht werden. Anstatt eigene Geschichten zu erzählen, sprechen die jungen Erwachsenen ein Skript und folgen einer vorgegebenen Choreografie. Einzelne Abschnitte enthalten jedoch autobiografische Elemente, wodurch die Wahrheit unscharf bleibt. Sie zeigen die Gegenwart, wie sie ist, während sie darüber nachsinnen, wie sie sein sollte und darum bemühen, sie selbstwirksam zu gestalten. In einem Interview zum Stück sagt der Autor, dass die Vermischung von Sein und Spielen dazu dient, dass sich die jungen Leute „wirklich Gedanken machen über diese Realität und […] auch Dinge sagen, die sie vielleicht sonst nicht unbedingt so ausformulieren würden, aber vielleicht könnten. Und das ist es, was mich reizt: Dass das wirklich so poetische Rebellen werden.“ Am Beispiel der Gen-Z wird gezeigt, wie sich Werden und Geworden-Sein beeinflussen und selbst beeinflusst werden. Das Stück wagt sich an die großen Frage nach Sein sowie Vergänglichkeit und würdigt diese, ohne sie vorschnell beantworten zu wollen.

„Die Menschen schaffen es eine Stabilität aufrecht zu erhalten in dieser Welt. Als kollektiver Kraftakt ist das beeindruckend.“

Das neblige Licht im Hintergrund der Leinwand und der permanente Klangteppich aus Geräuschen der Stadt, musikalischen Elementen und elektronischen Tönen ergänzen die Szenen atmosphärisch und bereichern das Gesamterlebnis, indem sie daran erinnern, dass die Inszenierung mehr als ein Film ist. Auf beeindruckende Weise gelingt es, etwas Alltägliches über mehrere Stunden hinweg so interessant darzustellen, dass der Großteil des Publikums – trotz der konstanten Möglichkeit den Saal zu verlassen und wieder zu betreten –, die Vorstellung nicht verließ, sondern gespannt das Geschehen auf der Leinwand verfolgte. Den Schauspielenden, die bis auf Claudia Gyasi Nimako nicht zum Ensemble des Staatstheaters gehören, gelingt es durch geschicktes Abwechseln, für eine unterhaltsame Dynamik zu sorgen und einzelne Erzählungen miteinander zu verweben.

„Und das ist nicht der letzte Akt.“

Es handelt sich um eine vielschichtige Auseinandersetzung und einen gelungenen Versuch, Menschen dabei zu begleiten, wie sie sich die Welt aneignen. Mixtape bietet einen ansprechenden Denk- und Handlungsanlass, um sich erstmals oder vertieft auf die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt zu begeben. Die Premiere wurde von einem sehr heterogenen Publikum mit Standing-Ovation gewürdigt – Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken ist sehr zu empfehlen.

von Jasmin Fuchs

Weitere Aufführungen finden am 22.05. 20:00 Uhr, sowie am 07.06., 13.06., 22.06. und 22.07. um jeweils 20:30 Uhr statt.

Bilder : @Konrad Ferstere

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