„Die Gegend, in der ich geboren bin, schafft es nicht, uns in die Welt hinauszuschleudern. Die Gegend, aus der ich komme, tötet die Träume, frisst die Hoffnungen.“
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Marouane Bakhtis Debüt Wie man aus der Welt verschwindet, übersetzt von Arabel Summent, tariert, verdichtet auf knapp 150 Seiten und in poetischer Sprache, die Zerrissenheit innerhalb der Multidimensionalität von Identität aus.
Der Protagonist ist Sohn einer weißen französischen Mutter und eines marokkanischen muslimischen Vaters, der nach Frankreich immigriert ist. Er selbst wächst in der französischen Provinz auf; einer Umgebung, die ihm die Vielschichtigkeit seiner Identität – amplifiziert durch sein homosexuelles Begehren – schmerzlich bewusst macht: „Ich finde meinen Platz nicht, ich suche, aber es gibt ihn nicht. Die Leute geben mir keinen Raum.“
„Full of lust wollte ich um jeden Preis fortgehen. Die Hässlichkeit hinter mir lassen, die tristen grünen Flecken auf den großen grauen Ebenen. Ich wollte alles zerstören, meine Provinzialität und die erotische Wüste ausmerzen, in der ich so lange umherirrte.“
Seinen Platz findet er auch in der eigenen Familie nicht. Die Beziehung zum Vater ist geprägt von dessen Männlichkeitsverständnis, das den Sohn früh zu einer massiven Selbstregulation zwingt. Er bemüht sich, sein Naturell, „[…] das, was so selbstverständlich kam, nicht nur vor [s]einem Vater zu verheimlichen, sondern vor allen Männern und Jungen“. Im Versuch aus dieser Umgebung auszubrechen, zieht der Erzähler in die verheißungsvolle Metropole, nach Paris: „Die Stadt öffnet ihren weiten Schlund und ich muss mich nur hineinkuscheln.“ Doch auch dort muss er erkennen, dass seine Identität, die so vieles auf sich vereint, Erwartungshaltungen ausgesetzt ist und er dem Blick anderer nicht entkommt. Sexuelle Erlebnisse mit Männern, deren racial fetishization durchtränkt ist mit Fremdzuschreibungen an ihn, verdeutlichen das besonders: „Häufig ist es brutal. Es ist der Araber in mir, den sie begehren. Mein Körper gewöhnt sich daran. Nur durch die Intimität mit anderen erträgt er die Angst und die Scham.“
Bakhti spürt dem Zerwürfnis nach, zwei Kulturen angehörig zu sein und sich doch keiner zugehörig zu fühlen. Das Umfeld während seines Aufwachsens als Kind der Diaspora prangert sein Anderssein früh an und auch in Paris dient seine Identität der Exotisierung. Ebenso ist seine Identität als Muslim für ihn nicht ausreichend, da die Wurzeln nicht fest genug verankert sind. Er spricht nicht die Sprache seiner Verwandtschaft väterlicherseits, ist „[s]ogar in [s|einer eigenen Familie ein Fremder“.
„Ich frage mich, ob das, was ich getan habe, nicht ein Schritt zurück ist: die Zustimmung meiner Familie zu suchen, um mein Glück zu besiegeln.“
Marouane Bakhti geht in Fragmenten, die sich collagenhaft zusammenfügen, der Frage nach, Wie man aus der Welt verschwindet. Die Kraft der poesiehaften Sprache liegt in ihrer Bildlichkeit. Der Erzählstil ist anklagend, der fehlende Halt, die Scham und die Wut des Protagonisten werden atmosphärisch transportiert. Zum Ende hin wird der Ton versöhnlicher (nicht ohne Reflektion dessen) und – auch wenn der Erzähler keine Antwort auf die titelgebende Frage findet – es zeichnet sich leise ab, wie man in der Welt bleibt.
von Michaela Minder

Marouane Bakhti
Wie man aus der Welt verschwindet
Aus dem Französischen von Arabel Summent
März Verlag 2025
20,00 Euro
148 Seiten
ISBN 978-3-7550-0050-1