Oliver Lovrenski – bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
Oliver Lovrenski – bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann

Oliver Lovrenski – bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann

„an träumen hat es uns nie gefehlt, nur an hoffnung“

CW: Depression, Drogenmissbrauch, Gewalt, Suizid(gedanken), Tod

Oliver Lovrenskis autobiographischer Debütroman bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann (norwegischer Originaltitel da vi var yngre – dt. als wir jünger waren) wurde bereits in 15 Sprachen übersetzt, für die Bühne adaptiert und eine Fernsehserie ist in Planung. Dank Karolin Hippes sprachlichem Feingefühl ist nun die deutsche Übersetzung bei Hanser Berlin erschienen.

„wenn dieses leben hier mich nicht bald umbringt, ich schwöre, dann mach ichs selbst“

Protagonist Ivor und seine Freunde Marco, Arjan und Jonas schlagen sich durch in ihrer Welt. Eine Welt, die aus einem Osloer Viertel besteht, einem Milieu, in dem bereits festgelegt ist, was aus Jugendlichen wie den vieren wird – nämlich, nach den dominierenden Erfolgsstandards geurteilt, nicht viel. Rassismus, Gewalt und Drogen, konstante Kämpfe sich zu behaupten sowie der Kampf mit der eigenen Lebensrealität begleiten ihren Alltag. Die vier Jungs erfahren viel Härte durch ihr Umfeld, aber auch Zärtlichkeit durch die Freundschaft untereinander: eine Wahlfamilie aus Freunden, die sich Brüder nennen und versuchen sich gegenseitig den Halt zu geben, den sie zu Hause nicht bekommen. Der Autor stellt jedoch auch in einem Interview  auf der Leipziger Buchmesse 2025 klar, dass sich die Jungs durch diese enge Verbundenheit gegenseitig in dieser Welt halten. Lovrenski geht so weit zu sagen, dass der Roman die Liebe zwischen den Freunden romantisiert und die Loyalität in der Realität nicht so gegeben sein muss. Die Brutalität und ernüchternde Ausweglosigkeit des Milieus fängt Lovrenski atmosphärisch ein und transportiert sie mit einer Sprache, die laut und leise widerhallt – zwischen den rauen Schilderungen der Erlebnisse der Jungs schwingt auch immer eine Poesie mit, die sich sanft zwischen den Zeilen, in wenigen Worten oder Andeutungen entfaltet und dadurch umso mehr Wucht hat. 

„was du erinnerungen nennst sind traumata“

Der Autor ist 2003 geboren und schrieb den Coming-of-Age Roman mit 19 Jahren. In kurzen Passagen, die manchmal nur aus wenigen Zeilen bestehen, lesen sich die Fragmente durch ihre Kürze, die Titel und die Art des Erzählens wie Handynotizen. Tatsächlich bestätigt der Autor, dass Teile des Romans auf dem Handy geschrieben wurden. Konsequente Kleinschreibung, fehlende Kennzeichnung der wörtlichen Rede und eine spärliche Verwendung von Satzzeichen markieren den Stil deutlich als losgelöst von der Standardsprache. Die Vielsprachigkeit der vier Charaktere spiegelt sich im Vokabular wider. Elemente aus den jeweiligen Muttersprachen ergänzen sich mit Englisch und verwandeln das Norwegisch (sowie ebenfalls dessen deutsche Übersetzung) in eine Jugendsprache. Als Hilfestellung, vor allem für ältere Leser*innen, ist ein Glossar angehängt. Die reduzierte Sprache bedeutet keinesfalls ein mangelndes literarisches Können, sondern erfüllt den Anspruch: von der Generation über die Generation geschrieben. In der Konsequenz ist der Stil authentisch und zeichnet sich durch einen rhythmischen Klang aus, der die 250 Seiten wie im Flug vergehen lässt.

Oliver Lovrenski deklariert in besagtem Interview auf der LBM25, dass das Buch nicht die Welt verändert, dass es aber in einen Dialog kommen lässt. Genau das ermöglichen seine Lesungen in Schulen, mit Polizist*innen und Personen vom Jugendamt. An eben diese Orte gehört die Erzählung (unter anderem) auch hin – Schüler*innen dürften von bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann deutlich mehr profitieren als von Faust. Ob selbst im Alter der Romanfiguren oder nicht – Oliver Lovrenskis Debütroman ist absolut zu empfehlen!

von Michaela Minder

Oliver Lovrenski
bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe
Hanser Berlin 2025
256 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-446-28160-8

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