Mit dem Regenschirm gegen das Patriarchat
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CW: Depression, Misogynie, Sexismus
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In ihrer Kurzgeschichten-Sammlung Böses Glück schreibt die dänische Autorin Tove Ditlevsen, die bekannt für ihre Kopenhagen-Trilogie ist, von den alltäglichen und teils auch skurrilen Befreiungsversuchen von Frauen in den 50er Jahren, die sich aus den patriarchalen Fängen ihres tristen Ehedaseins emanzipieren wollen. Bereits in der ersten Kurzgeschichte „Der Regenschirm“ zeigt Ditlevsen durch die obsessive Beziehung der Protagonistin Helga zu einem Regenschirm den Wunsch nach eigener Befreiung und Selbstbestimmung. Helga möchte sich durch den Gegenstand etwas zu eigen machen, was nur ihr gehört – sehr zum Missfallen ihres Mannes. „Es war natürlich und gerechtfertigt, dass er zerstört worden war. Sie hatte gegen das Gesetz verstoßen, das ihr eigenes Innenleben regelte, denn die wenigsten Menschen wagten es auch nur einmal in ihrem Leben, das Unaussprechliche in die Tat umzusetzen“ – so rechtfertigt Helga schließlich den Wutausbruch ihres Mannes, der den Regenschirm mutwillig zerstört und sie damit auf ihren Platz des „Häuslichen“ zurückweist. In den darauffolgenden Geschichten geht es unteranderem um eine Katze als Kinderersatz, eine Affäre mit einer heimlichen Abtreibung zur Folge und um eine Frau, die aufgrund einer Kinderlähmung nicht tanzen kann, sich dadurch in ihrer Weiblichkeit verletzt fühlt und folglich die Liebe ihres Mannes anzweifelt. Alle Geschichten karikieren ein Gesellschaftsbild, welches von Geschlechterstereotypen und Misogynie (auch unter Frauen) geprägt ist und handeln von der Sehnsucht der Protagonistinnen, sich ein Stück ihrer Selbst wieder anzueignen. Dabei wird der Mann oft als Oberhaupt der Familie dargestellt, der die Frau in die Rolle als Mutter und Hausfrau drängt.
„Hanne war erst sieben Jahre alt, trug aber schon eine große, formlose Angst in sich. Sie wollte immer am liebsten an einem anderen Ort sein als da, wo sie gerade war.“
Mit wenigen Worten schafft es Tove Ditlevsen, Ungleichheiten auf den Punkt zu bringen und nuanciert über das Leben in den 50er Jahren zu berichten. Immer wieder versuchen die starken Protagonistinnen etwas aufzubrechen, dass schlicht als gegeben und typisch weiblich dargestellt wurde. Dabei zieht sich eine Frage durch alle Geschichten durch: Kann eine wahre Selbstbestimmung, das eigene Glück, wirklich gelingen? Auch der Titel Böses Glück zeigt in der gleichnamigen Kurzgeschichte zu Ende des Buches wie trotz des vermeintlichen Glücks der namenslosen Protagonistin ihr eigenes Leben zu führen, sie doch auf die (finanzielle) Unterstützung ihres Bruders und zukünftigen Ehemanns angewiesen ist, während ihre kranke Mutter, die stets die Partner*innen ihrer Kinder abgelehnt hat, ihr sagt, dass „es egal [ist], wen man heiratet“. Irritiert von den Worten, stellt die Protagonistin ihre eigene Abhängigkeit fest. Dadurch zeigt sich besonders gut, wie das Patriarchat aufrechterhalten wird und es Frauen gerade zu der Zeit erschwert wurde, auf eigenen Beinen zu stehen. Was bleibt ist ein bitterer Beigeschmack – das böse Glück. Bitterböse und doch ermutigend schreibt Ditlevsen über die Lebensrealitäten starker Frauen, die mehr vom Leben wollen als nur Ehefrauen und Mütter zu sein – Frauen, die damals schon aus dem Raster fielen und es heute gewissermaßen auch noch im Patriarchat tun. Und welche trotz all der auferlegten Widrigkeiten als Vorbild für nachfolgende Generationen von Frauen dienen.
von Karina Hein

Tove Ditlevsen
Böses Glück
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein
Aufbau Verlag 2023
176 Seiten
20,00 Euro
ISBN 978-3-351-03952-3