Charlotte McConaghy – Zugvögel
Charlotte McConaghy – Zugvögel

Charlotte McConaghy – Zugvögel

Den Letzten ihrer Art folgen

CW: Depressionen, Selbstverletzung, Sexuelle Belästigung, Suizid, Suizidversuch, Tod, Trauer

Den letzten noch verbliebenen Küstenseeschwalben folgen, das ist es, was Franny Lynch will. In einer Welt, in der ein Großteil der bekannten Tierarten so gut wie ausgestorben ist, scheint es ihr das einzig Sinnvolle zu sein. Autorin Charlotte McConaghy umgibt die Protagonistin ihres Debütromans Zugvögel mit einer dystopischen, vom Klimawandel gebeutelten Welt, und schickt sie auf eine Odyssee über das leergefischte Meer. Durch Zeitsprünge, die die Lesenden in Frannys Vergangenheit zurück nach Irland und Australien versetzen, erschließt sich Stück für Stück das Leben dieser jungen Frau, die Vögel so sehr liebt wie nichts anderes auf der Welt. Zeit ihres Lebens rastlos und dem inneren Wunsch nach der Ferne folgend, begleitet Franny die Besatzung eines Fischerboots von Grönland aus bis in die Arktis, und kann ihrer Vergangenheit doch nicht entkommen. Die Rückblenden erzählen vom Verlust ihrer Mutter, ihrer Suche nach Verwandten und ihrem Platz in der Welt, sowie von ihrem Ehemann, dem Biologen Niall Lynch, der für den Arterhalt kämpft und Vögel ebenso sehr liebt wie sie.

„Wie ungerecht das ist, ein Geschöpf sein zu müssen, das lieben, aber nicht bleiben kann.“

Die irisch-australische Autorin Charlotte McConaghy ließ sich für ihre Protagonistin von sich selbst und ihrer Passion von Umwelt- und Artenschutz inspirieren. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Thematisierung des Klimawandels ist das Buch stark von Emotionen geprägt. Behutsam und mit Fingerspitzengefühl lässt McConaghy die Lesenden in Frannys Welt eintauchen, die Schwere ihrer Vergangenheit spüren, sowie ihren sich ausbreitenden inneren Frieden, wenn sie, von Natur umgeben, zur Ruhe kommt. Der Roman denkt das Schicksal unserer Welt weiter, thematisiert es allerdings nicht vordergründig, sondern immer mit dem Verlauf der Handlung. Er lässt sich als Dystopie bezeichnen, aber eine sehr nahbare, welche die direkte Betroffenheit der Umwelt an Einzelschicksalen erlebbar macht. Zugvögel ist ein Buch, das hautnah die dunklen, aber auch lichten Zeiten der Protagonistin sowie ihre Sehnsucht nach der Ferne erleben lässt, weshalb sich mit einem Zitat von Emily St. John Mandel schließen lässt: „Eines der schönsten und herzzerreißendsten Bücher, die ich je gelesen habe“.

von Nike Kutzner

Charlotte McConaghy
Zugvögel
Aus dem Englischen von Tanja Handels
S. Fischer 2020
399 Seiten
25,00 €
ISBN 978-3-596-70520-7

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