Silvio Soldini – Die Vorkosterinnen
Silvio Soldini – Die Vorkosterinnen

Silvio Soldini – Die Vorkosterinnen

Ein lange unbekanntes Kapitel deutscher Geschichte

CW: Antisemitismus, Blut, Gewalt, Tod, Trauer, Waffen

Lange unbekannt war die Geschichte einer Gruppe junger Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs essen mussten – und zwar für den Führer. Silvio Soldinis Film Die Vorkosterinnen, der am 19.06.2025 erstmals in Bamberg im Odeon Kino zu sehen war, ist von ihrem Schicksal inspiriert, das erst Mitte der 2010er Jahre öffentlich wurde.

Man stelle sich vor, man ist eine junge Frau während des Zweiten Weltkriegs, die ohne weitere Erklärung von SS-Offizieren aus ihrem Zuhause in Ostpreußen geholt wird. Gemeinsam mit anderen Frauen wird man in ein Gebäude und an einen Tisch voller Essen geführt und aufgefordert, dieses zu sich zu nehmen. Für den Führer, wie sich herausstellt – um vorab zu prüfen, ob es vergiftet ist.

So ergeht es im Film der Protagonistin Rosa Sauer (Elisa Schlott), die 1943 aus Berlin zu ihren ihr kaum bekannten Schwiegereltern nach Ostpreußen geflohen ist. Adolf Hitler hat sich seit geraumer Zeit im benachbarten Waldgebiet niedergelassen, in dem sein Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ errichtet wurde. Für die anderen Frauen, die aus der Gegend kommen, ist sie zunächst „die Berlinerin“ – nicht von hier und noch mit Ehemann, wenn auch an der Front. Rosa versteht sich bald gut mit der unbedarften Leni (Emma Falck), der Krämersfrau und zweifachen Mutter Heike (Olga von Luckwald), und sogar mit der schweigsamen Elfriede (Alma Hasun). Letztere öffnet sich ihr immer mehr, während die Kriegswitwe Augustine (Thea Rasche) verbittert und Sabine (Kriemhild Hamann) begeisterte Hitler-Anhängerin ist, die fest an den Endsieg glaubt. Und doch entspinnt sich in tagtäglichem Zusammenkommen mit zweimaligem Essen und zweimaligem, nervenzehrendem Warten bald ein Gefühl von Gemeinschaft. Die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen, als Rosas Ehemann Gregor als vermisst gemeldet wird und der neue Kommandant Albert Ziegler (Max Riemelt) beginnt, ihr Avancen zu machen, während die Gruppe sich nicht nur mit Vergiftungen, sondern auch einer versteckten Schwangerschaft und einer untergetauchten Jüdin konfrontiert sieht.

„Kann man auch als lebender Mensch aufhören, zu existieren?“

Der Regisseur Silvio Soldini verfilmte mit diesem Werk den Roman Le assaggiatrici (dt: Die Vorkosterinnen) der Autorin Rosella Postorino, die sich wiederum von den Aussagen Margot Woelks inspirieren ließ. Margot Woelk war nach eigenen Angaben ab 1942 eine Vorkosterin Hitlers, und trat damit 2012 erstmals an die Öffentlichkeit. Während die Mitarbeitenden des Films überwiegend Italiener*innen oder Schweizer*innen sind, besteht die Besetzung fast ausschließlich aus deutschen Schauspieler*innen. Die bildliche Atmosphäre des Films ist kühl gehalten, wie man es oft in deutschsprachigen Produktionen sieht, die während der Weltkriege spielen. Um die Trostlosigkeit der allgemeinen Situation zu unterstreichen, dominieren die Farben Grau und Braun, vereinzelt kühle Grün- und Blautöne. Akzente setzen hierbei manchmal die roten Lippen einiger Vorkosterinnen, wenn diese sich zurechtgemacht haben, oder die tiefblauen Augen mancher Darstellerinnen, was die Verletzlichkeit der jungen Frauen in der Position, in der sie sich befinden, unterstreicht. Filmmusik findet vor allem in dramatischer Streichmusik Verwendung, wenn emotionale, dramatische Szenen zu sehen sind. Ansonsten setzt der Film viel auf natürliche Hintergrundgeräusche, wodurch man sich sehr in die Situation hineinversetzt, aber in Angesicht der Umstände der Geschichte auch verloren fühlt.

Mit seiner Verfilmung beleuchtet Soldini ein weiteres Kapitel des Zweiten Weltkriegs, das erst spät und überraschend bekannt wurde. Es gelingt ihm, jeder einzelnen der jungen Frauen eine Persönlichkeit und eine Geschichte zu geben, und sie somit menschlich zu machen, was ihr Schicksal umso nahbarer werden lässt. Kein leichtes Unterfangen in Zeiten, in denen die Schrecken eines solchen Krieges unserer Gesellschaft sehr fern geworden sind, weil es kaum mehr lebende Zeitzeug*innen gibt. Das allein macht den Film sehr sehenswert.

Weitere Aufführungen finden am 20.06., 21.06., 22.06., 23.06., 25.06. um jeweils 20:45 Uhr, sowie am 27.06., 28.06., 29.06., 30.06., 01.07. und 02.07. um jeweils 16:20 Uhr im Odeon Kino Bamberg statt.

von Nike Kutzner

Silvio Soldini
Die Vorkosterinnen
Originalfassung Deutsch
Belgien, Italien, Schweiz 2024
123 min
FSK 12

Bilder: Copyright Luca Zontini / Busch Media Group

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