Nena Tramountani – Twelve of Nights. Das gestohlene Herz
Nena Tramountani – Twelve of Nights. Das gestohlene Herz

Nena Tramountani – Twelve of Nights. Das gestohlene Herz

Der Verlust von Herzen


CW: Depression, psychische Erkrankungen, selbstverletzendes Verhalten, Suizid, Trauer, Verlust

Während der zwölf Raunächte leiten die Menschen im griechischen Bergdorf Dodekada mit Ritualen und Festen den Jahreswechsel ein. Doch auch die Kalikanzari, Dämonen einer alten Legende, sollen in dieser Zeit ihr Unwesen treiben, um dann an Silvester die Wilde Nacht zu beginnen. Ihr Ziel: das Herz eines Menschen.

„Ich weiß, du kennst mich nicht, aber ich verspreche dir, du liebst mich.“

Daphne begegnet nach der Weihnachtsmesse einer ihr unbekannten jungen Frau, mit der sie, wie es scheint, jedoch eine gemeinsame Vergangenheit teilt. Diese übergibt ihr einen Brief und appelliert an ihre gemeinsame Liebe. Daphne fühlt sich zu Ioanna hingezogen, doch weiß sie (noch) nicht, woher sie sich kennen sollen und warum nach diesem Zusammentreffen auf einmal Erinnerungen in Daphne hochkommen, die sie das ganze sonstige Jahr über nicht hatte.

Nena Tramountanis Roman Twelve of Nights. Das gestohlene Herz ist der erste Band einer Dilogie, die Elemente einer griechischen Legende mit einigem Herzschmerz verbindet. Bereits nach den ersten beiden intensiven Kapiteln erkennen die Lesenden die Arbeit mit Zeitsprüngen zwischen der Gegenwart sowie Rückblicke in sechs unterschiedliche Intervalle der Vergangenheit. Aus Daphnes Sicht bekommen die Rezipient*innen beispielsweise mit, dass sie sich fehl am Platz vorkommt und trauert. In dem darauffolgenden Rückblick von fünf Jahren möchte Ioanna Daphnes wild pochendes Herz. Es ist ein angenehmer Start des Lesens mit stimmungsvollen Momenten durch die Beschreibungen der Handlungsorte.

„Ich meine keine Schwärmerei. Ich meine das, wovon alle reden. Das einzig Wahre.“

Die gravierende Anziehung, die die beiden Protagonistinnen anscheinend füreinander empfinden, wird im Leseprozess nur bedingt deutlich. Ebenfalls werden viele weitere Personen und ihre Beziehungen genannt, zu denen der emotionale Bezug und die charakterliche Tiefe allerdings fehlen. Daphne ist eine People-Pleaserin, die zwar viel wahrnimmt, aber nicht auf ihre innere Stimme hört oder sich eigenständig emanzipiert. Richtung Ende des ersten Teils bekommen die Leser*innen einige Erklärungen mehr und der Fluss der Geschichte gewinnt für kurze Zeit an Sogkraft. Das winterliche Setting wird atmosphärisch beschrieben und die Einblicke in griechische sowie orthodoxe Riten rund um die Raunächte sind dabei sehr spannend und bieten eine schöne Gelegenheit, diese kulturellen Einschläge kennenzulernen. Mehr ergänzende Einblicke und Erklärungen zu der Mythologie hinter dem Weltenbaum und den Kalikanzari wären wünschenswert gewesen.

„Zeit ist der größte Fluch, wenn sie einen daran erinnert, was man verloren hat.“

Im kurzen, zweiten Teil des Buches finden Ioanna und Daphne – trotz letzterer Trauer und dem Vergessen der letzten Raunächte – sehr schnell zueinander. Die emotionalen Umschwünge sind drastisch und das Selbstmitleid, das in beiden verankert ist, kann zunehmend als ermüdend wahrgenommen werden. Vor allem Daphnes Verständnis von Freundschaft und Zugehörigkeit, was für sie von Anfang an so wichtig ist, wirkt unverständlich, da die Personen um sie herum so dysfunktional mit ihr umgehen. Die unberechenbaren sozialen Strukturen rund um die Hauptfiguren wiederholen sich immer wieder und werden nicht umfassend aufgelöst. Per se kein Muss eines Romans, aber doch wünschenswert, wenn Liebe und scheinbar unüberbrückbare Hindernisse als Zentrum fungieren. In den weiteren Buchteilen finden sich einige Puzzlestücke in Bezug auf Ioannas Entscheidungen zusammen, aber auch hier fehlt die Einfühlsamkeit und die tiefere Verbindung zwischen den Figuren.

Möglicherweise lässt sich zu einem anderen Zeitpunkt mehr in die Geschichte hineinfinden. Twelve of Nights. Das verlorene Leben – der zweite, bereits erschienene Band – offenbart hoffentlich die Spannungselemente, die im ersten Teil gefehlt haben.

von Paula Heidenfelder

Nena Tramountani
Twelve of Nights – Das gestohlene Herz
Piper 2024
432 Seiten
20,00 Euro
ISBN 978-3-492-70811-1

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