3 Zimmer, Küche, Sozialexperiment
—
Bambergs Wohnungsmarkt ist je nach Verzweiflungsgrad eine Tragödie oder eine Farce, und als Wohnungssuchende*r ist man aufgeschmissen, egal ob jung oder alt. Im vom Spielclub Generationen selbst entwickelten Stück Miet mich! Wenn Du Dich traust führte die ETA-Hoffmanns-Appartements-Group am 28. und 29.06. Besichtigungen auf der Studiobühne des Theaters durch… Zur großen Erheiterung des Publikums.
Ein Ensemblemitglied stampft über die Bühne. Ein weiteres folgt, wieder eines, bis hektisches Gewusel entsteht. Rücksichtsloses Aneinanderrempeln einer amorphen, grauen Menge. Das Hamsterrad der modernen Großstadt. Alle Schauspieler*innen formieren sich in einer Reihe. Mit starrem Blick nach vorne wird unisono – in einer Mischung aus griechischem Chor und ZDF-Problembericht – die Gegenwartsdiagnose skandiert: Die kapitalistische Gesellschaft ist verroht. Und: Wer eine Wohnung sucht, ist am Arsch. Dieser allgemeine Befund wird anhand des folgenden Besichtigungsprozesses skurril-überzeichnet konkretisiert.
Mutprobe Wohnungssuche
Das erste Bild startet im Außenbereich vor dem Haus und die Zuschauer*innen lernen die Hausgemeinschaft kennen: Da wäre die Putzfrau Babsi (charmanter Sidekick: Laura Hinzmann), die zunächst mit der Pflege des Gartenteichs beschäftigt ist, und der hemdsärmelige Hausmeister Helmi (Emanuel Merzbacher), der eine spirituelle Verbindung zu dem Eichenboden im Flur pflegt. Das stellt fachkundig die polyamore, auf ihrem Balkon Yoga praktizierende Hippienachbarin Susi (Pauline Körner) fest, die sich auf „ganz viele Freund*innen“ durch neue Bewohner*innen freut. Anders der Spießernachbar Saraneikes (James Ott), der durch Intriganz zumindest einen Bewerber vergrault. Nicht nur durch ihn, auch durch andere Faktoren wird bereits hier eine Vorselektion der Interessent*innen vorgenommen. Die Vielzahl an potentiellen Mieter*innen bietet die Möglichkeit einer bisweilen holzschnittartigen, oft aber treffsicheren Charakterisierung urbaner Typen. Da ist etwa die verunsicherte junge Frau, wohl auf der Suche nach der ersten Wohnung, die im Handygespräch alles live ihrer Mutter überträgt, oder der sächselnde Gym-Bro (beide Emilia Brück). Obwohl letzterer im Gartenteich durch das Vorkommen vermeintlich proteinhaltiger Wasserspaghetti großes Potential sieht, scheidet er – sehr zum Bedauern von Babsi – aus.
Gruppenbesichtigung mit Überraschungseffekt
Im zweiten Bild kommen vier Parteien in die engere Auswahl und werden wie das Publikum in den Innenraum vorgelassen. Durch das hohe Aufkommen an Bewerber*innen werden sie parallel von zwei Makler*innen durch die Räumlichkeiten geführt. Während die stöckelnde Maklertussi Lilith (wunderbar zickig-bossy: Milena Dust) mit ihrem turtelnd lesbischen Pärchen (Emilia Brück, Clara Scheele) alles unter Kontrolle hat, muss sich der hektisch-überangepasste Maklerkollege Max (Nina Freund) mit einem zerstrittenen Ehepaar (Neo Loskarn, Arturo-Battista del Prete) herumschlagen. Trotz Rattenbesuchs und eines fehlenden Fensters im Arbeitszimmer zeigen sich alle angetan und es bleibt die Frage: Warum ist die Wohnung so verdächtig günstig? Das steht in Schriftgröße 2 im Kleingedruckten: Als WG-Partner teilt man sich die Räumlichkeiten mit einer Obdachlosen.
Es ist feine Ironie, dass sich Helmi nun als einziger Interessent meldet. So zieht der ein, der ohnehin schon seine Bleibe im Haus hat. Aus denen, die das Zusammenwohnen mit der vormals Wohnungslosen scheuen, werden erneut Wohnungssuchende.
Der gute Mensch von ImmoScout?
Nicht nur zu Beginn lässt das Stück an Bertolt Brecht denken. Die Kommentatorin (Jasmin Isabell Casimiro Ribeiro) möchte an das Gute am Menschen glauben, was ihr zumindest bis zum Verlesen der Selbstauskünfte gelingt. Ihre einordnenden Anmerkungen überbrücken die Raum- und Szenewechsel und führt das Slapstick-hafte Stück immer wieder auf die gesellschaftskritische Metaebene zurück. Im Durchbrechen der vierten Wand „muss sie dann doch ran“ und schlüpft in die Rolle der obdachlosen Mitbewohnerin Kim. Es ist ein phänomenaler Kunstgriff, wenn sie damit als Außenstehende der Gesellschaft zur Außenseiterin innerhalb der Gesellschaft wird. In den Verfremdungseffekten brechtscher Manier bleibt dem Publikum durchgängig vor Augen gehalten, dass es einer Inszenierung beiwohnt: Das Szenenbild vor der Kulisse des schwarz-minimalistischen Hintergrunds wechselt einzig durch Montage von Requisiten, die unterschiedlichen Räume tun sich durch das Aufmalen von Grundrissen in Straßenkreide auf. Die Spieltruppe vollzieht den Rollenwechsel von namenlosen, grau gekleideten Personen zu den schrillen Spielcharakteren auf der Bühne. Dabei beweist das Kostüm (Marie Müller) einen soziokulturell scharfen Blick in der Auswahl aussagekräftiger Alltagsoutfits.
Dschungel statt Schufa-Auskunft
Die Inszenierung unter der künstlerischen Leitung der Theaterpädagogin Sabrina Theuring demonstriert, wie reduzierte Mittel den Einfallsreichtum zum Strahlen bringen: Großartig etwa ist die Idee, das (kaum) zivilisierte argumentative Ringen um die begehrte Wohnung zwischen den vier Parteien in Analogie zu setzen mit dem evolutionären survival of the fittest: Nach kurzem Lichtwechsel mimt die Truppe unter Dschungelgeräuschen den Kampf verschiedener Tierarten. Nicht nur hier scheinen die Bewegungen des Ensembles wie choreographiert, auch die Standbilder, zu denen sich die Schauspieler*innenkörper zu Beginn und Schluss formieren, könnten einem modernen Ballett entstammen. Die Mitglieder des Spielclubs überzeugten mit ungebändigter Spielfreude, Detailverliebtheit (auch das Programm in Form eines Wohnungsinserats soll hier nicht unerwähnt bleiben!) und die gute Atmosphäre zwischen den Beteiligten übertrug sich auf das immer wieder schmunzelnde Publikum.
Mit wechselnder Beleuchtung und dem geschickten Einsatz von Musikgenres von Klassik bis traditionellen Sirtaki wurden Stimmungen in bewusster Überzeichnung gelenkt. Wenn sich zu Vivaldis Streichern in Friede-Freude-Eierkuchen-Manier alle in die Arme fallen, ist dies gleichzeitig rührend und selbstironisch. Nach diesem lyrisch-utopischen Schluss wirkt der kalte Aufprall in die Realität umso härter. Unter hämmernden Beats wird der Bogen zur anfänglichen Großstadthast geschlossen. Nach 50 Minuten Spielzeit ist eine Wohnung vergeben und der Spielclub scheint sich Brecht anzuschließen: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“
Der Mietwahnsinn geht weiter, das Stück leider nicht.
Eine weiter Aufführung findet am 04.07. im Rahmen des Uni.fests um 20:30 Uhr auf der Theaterkleinkunstbühne 3 auf dem Campus in der Markusstraße 8 (in leichter Abwandlung, Eintritt frei für Universitätsangehörige) statt.
von Jana Paulina Lobe




Fotos: Marie Müller