Tobias Haberl – Unter Heiden
Tobias Haberl – Unter Heiden

Tobias Haberl – Unter Heiden

Der Buchtitel ist eine Lüge und eine Übertreibung.

Zu dieser Einsicht gelangt nicht nur der Autor selbst.Unter Heidenbasiert auf einem gleichnamigen Artikel, welcher 2023 in der Süddeutschen Zeitung erschien und mit dem Reporterpreis ausgezeichnet wurde. Der Artikel wurde aber nicht nur gefeiert, sondern auch hitzig diskutiert. Unter anderem vom Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung Michael Erbst. Er antwortet auf Haberls Essay mit einem Artikel, welcher den Titel Unter Christen trug. Das Sachbuch Unter Heiden, welches 2024 im btb Verlag erschien, widmet sich der Frage “Was kann das 21. Jahrhundert eigentlich von gläubigen Menschen lernen?” und reagiert auf die Rückmeldungen zu seinem Artikel Tobias Haberl wendet sich dabei nicht nur Skandalthemen zu, wie dem Missbrauch in der Kirche und der Vertuschung desselben, der systematischen Benachteiligung von Frauen und der Verteidigung von unzeitgemäßen Prinzipien, sondern beleuchtet ebenso die strahlende Seite des Glaubens – Schönheit, Trost und Hoffnung.

Unter Heiden ist eine vielfältige Zusammenstellung aus persönlichen Erfahrungen, Gesprächen mit unterschiedlichen Geistlichen und Gesellschaftsanalyse. Glaubensbekenntnis und Kirchenkritik stehen dabei gleichwertig nebeneinander. Statt nur Gemeinsamkeiten zu suchen und über Ungereimtheiten hinwegzutäuschen, stellt der Autor die Stärken der jeweiligen Positionen prägnant heraus, ohne die dabei entstehende Spannung aufzulösen. Vielfach kritisiert er gerade jenes falsche Bestreben nach Toleranz um jeden Preis oder wie er es nennt: „eine als Weltoffenheit getarnte Wurschtigkeit“.

Tobias Haberl ist selbst katholisch aufgewachsen und bis heute mit der katholischen Kirche eng verbunden. Seine eigene Prägung reflektiert er ausführlich und bringt persönliche Erfahrungen sachdienlich ein. Besonders seine katholisch-bayrische Kindheit inklusive regelmäßiger Besuche der sonntägigen Messe hinterfragt er kritisch und zeigt sich dadurch nahbar und verletzlich. Sein ehrliches Ringen, gerade im Bezug auf die Schattenseiten der katholischen Kirche, verleiht Unter Heiden eine erstaunliche Tiefe und Ehrlichkeit.

„Natürlich ist die Kirche, wie jede andere Institution auch, nicht frei von Fehlern, im Gegenteil, sie bezeichnet sich ja selbst als Kirche der Sünder. […] Was aber auch ein Problem ist: Wenn […] sich viele nicht mehr vorstellen können, dass die allermeisten Geistlichen grundanständige oder sogar faszinierende Menschen sind, von deren Engagement eine ganze Gesellschaft profitiert, ohne es zu bemerken, geschweige denn zu würdigen.“

Neben all dem Lob thematisiert Haberl deutlich Schwierigkeiten und Kritik. So kommt ihm außerhalb der Messe viel zu selten das Ewige Leben zur Sprache. Stattdessen stünde Sozialpolitik im Vordergrund, sodass die Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung von der geistlichen Kraft zur problematischen Protestpartei verkommt. Dies liege nicht zuletzt auch an der mangelnden Sichtbarkeit z.B. in Talkshows begründet, weil Kirche als nicht zeitgemäß genug abgestempelt wird. Kirche müsste eine Idee von sich selbst entwickeln und öffentlich verkörpern. Nicht um Menschen zu gefallen, sondern um sie an Gott zu erinnern und ihnen dabei zu helfen, ihn zu finden.

„Die Alte Messe ist betörend schön, aber auch eine Überforderung, an der man nur scheitern kann. Anderseits: Ist das nicht die Definition des christlichen Lebens schlechthin?“

Für Haberl ist jedoch gerade die Beständigkeit und die ausgeprägte Tradition wertvoll. Besonders in Liturgie und Eucharistie liegt für ihn die Schönheit. Auch sein Bericht über einen Aufenthalt im Kloster illustriert überzeugend, wie viel Bedeutung Haberl Gebet und Messen beimisst. Gleichzeitig verdeutlichen seine Erfahrungen, wie schwer es sein kann, sich darauf einzulassen.

„Um Gott begegnen zu können, kann man nicht weiterwurschteln und hoffen, dass er irgendwie dazukommt, nein, man muss die richtigen Bedingungen schaffen, hinter sich selbst zurücktreten, einem Raum schaffen, in dem er Platz finden kann.“

Während die Ausführlichkeit des Buches an vielen Stellen der Komplexität des Themas zugutekommt, gibt es im hinteren Teil auch einige langatmige Abschnitte. Bis zum Ende bleibt das Konzept des Buches undurchschaubar und die einzelnen Kapitel sind nur lose miteinander verbunden, statt systematisch aufeinander aufzubauen und je eigene Aspekte zu vertiefen. Auch dem Anspruch, den Mehrwert von Glauben aufzuzeigen, kann das Buch nur teilweise gerecht werden. Obwohl durch zahlreiche Zitate des Schriftstellers und Orientalisten Navid Kermani, teilweise muslimische Perspektiven aufgezeigt werden, wird die Bandbreite des Glaubens nur sehr einseitig dargestellt. Anstatt das spezifisch Katholische hervorzuheben und dessen Stärke für die eigene Argumentstation zu nutzen, neigt der Autor eher zu Verallgemeinerungen. Die gelungene Sprache schafft es, an einigen Stellen über inhaltliche Sprünge und Oberflächlichkeiten hinwegzutäuschen. Was als potenzielles Lieblingsbuch anfing, endete leider als Durchschnittslektüre. Trotz der genannten Kritikpunkte ein hochrelevantes, mutiges und gut verständliches Buch, welches hoffentlich noch von vielen Menschen, egal ob gläubig oder nicht, katholisch oder nicht, gelesen wird.

von Jasmin Fuchs

Tobias Haberl
Unter Heiden
btb 2024
288 Seiten
22,00 Euro
ISBN 9783442762873

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